VON LUDWIGSBURG NACH BERLIN - EIN SKYPE-GESPRÄCH MIT... SVEN KULIK, ABSOLVENT MONTAGE/SCHNITT (2008)
Lieber Sven, ab wann wusstest du, dass du Filmeditor werden möchtest?
Nach der Schule und dem Zivildienst habe ich zunächst Soziologie und Philosophie in Magdeburg studiert und belegte dort ein Seminar zum Thema Experimentalfilm. Das war ein echtes Aha-Erlebnis für mich. Zu sehen, mit welch einfachen Mitteln es möglich ist, einen Film zu machen, hat mich fasziniert und mein Interesse geweckt. Ich habe dann viel über die einzelnen Bereiche und Gewerke eines Films recherchiert und merkte, dass mich der Filmschnitt am meisten interessierte. Im Schnitt kommt alles zusammen: Man arbeitet mit Bild, Ton, Text, Musik und an der Dramaturgie des Films. Das konnte ich mir sehr gut vorstellen.
Wie verlief dann dein Einstieg in die Filmbranche?
Begonnen habe ich mit einem Praktikum in der Magdeburger Produktionsfirma e-media und machte im Anschluss daran ein dreijähriges Volontariat beim NDR in Hamburg. Dort wurden wir als Volontäre für Film und EB-Schnitt (Elektronische Berichterstattung) zu Nachrichtenbeitragseditoren ausgebildet und ich habe sehr viel gelernt. Diese Ausbildung wird mittlerweile leider nicht mehr angeboten. In dieser Zeit habe ich viel als Cutterassistent gearbeitet. Als Teil meines Volontariats war ich auch ein paar Wochen an der Filmakademie Baden-Württemberg und habe dort als Schnittassistent geholfen. Da es mir gut gefallen hat, habe ich mich beworben und konnte vor Ort meinen Bewerbungsfilm drehen und es hat geklappt. So konnte ich dann direkt nach meinem Volontariat das Studium an der Filmakademie beginnen.
Welche Erlebnisse verbindest du mit deinem Studium an der Filmakademie?
Ich kann mich erinnern, dass ich zu Beginn sehr überrascht war, als das Grundstudium losging und nicht sofort in den Schnitt eingestiegen wurde, sondern man die unterschiedlichsten Bereiche wie Filmgestaltung, Regie und Kamera kennenlernte. Das war eine tolle Erfahrung. Da kam ich direkt mit meinen Kommilitonen in Kontakt, Teams haben sich zusammengefunden und gemeinsam Filme realisiert.
Insgesamt vergingen die vier Jahre an der Filmakademie wie im Flug. Die Schule hat sehr viel gefordert und einem gleichzeitig die Möglichkeit gegeben, extrem viel auszuprobieren. Dass ich schon im dritten Jahr die Möglichkeit bekam, einen langen Dokumentarfilm zu schneiden, war enorm hilfreich. So habe ich schnell mehr Sicherheit im Umgang mit sehr viel Filmmaterial bekommen.
Inwieweit stehst du heute noch mit der Filmakademie oder ehemaligen Mitstudenten in Kontakt?
Natürlich läuft man sich immer mal wieder über den Weg, ob bei gemeinsamen Projekten oder beim jährlichen Alumni-Empfang im Rahmen der Berlinale, das ist immer schön. Das Studium an der Filmakademie hat mir dabei geholfen, ein gutes Netzwerk aufzubauen. Ich habe immer noch regelmäßig Kontakt zu einigen Dozenten.
Kürzlich war ich Mitglied der Vorjury beim FILMPULS Montageforum 2016. Auch dort habe ich ehemalige Kommilitonen wiedergetroffen.
Nachdem ich für den Kurzfilm AM ANDEREN ENDE (2009, Filmakademie Baden-Württemberg, SWR, arte, BR) den DEUTSCHEN KAMERAPREIS FÖRDERPREIS SCHNITT bekommen hatte, durfte ich im darauffolgenden Jahr dort in der Jury sitzen. Als Juror diverse Filmeinreichungen zu sichten und zu sehen, wie sich der Filmnachwuchs entwickelt, ist immer wieder eine sehr spannende und schöne Sache.
Gab es in deinem bisherigen Werdegang auch Situationen, die dich zum Zweifeln gebracht haben? Hast du Schaffenskrisen erlebt?
Von Zeit zu Zeit passiert das schon. Dieser Moment des Zweifelns entsteht häufig, wenn ein längeres Projekt zu Ende geht und noch kein neues in Sicht ist. „Oh Gott, wo soll ich jetzt ein neues Projekt herbekommen?“ Diese Frage habe ich schon häufiger gedacht, aber die Erfahrung zeigt, dass dann doch immer wieder neue Projekte und Anfragen zum richtigen Zeitpunkt kommen. Wenn man sich diesen Zweifeln und Ängsten aber ergibt und dort reinfallen lässt, hat man keine Energie mehr, Akquise zu betreiben und dadurch vielleicht neue Projekte zu bekommen. Also darf ich diesen Zweifeln nicht zu viel Platz einräumen.
Ein Großteil deiner Projekte sind bisher Dokumentarfilme, einige davon wurden ausgezeichnet. Hast du dich bewusst darauf spezialisiert?
Nein, das hat sich einfach so ergeben. Ich schneide sehr gerne Dokumentarfilme und nach einem erfolgreichen Projekt im dokumentarischen Bereich folgten oft Anfragen für weitere. Am schönsten ist für mich aber die Abwechslung beim Schneiden von Filmen verschiedener Genres. Wenn ich einen Dokumentarfilm schneide, reizt mich darin das echte Leben, die Authentizität. Ich bekomme das Filmmaterial und muss gemeinsam mit dem Regisseur die Szenen auswählen. Anders ist das beim szenischen Film: Hier geht es nicht um die Auswahl der Szenen, sondern um die Auswahl der Takes, man geht sehr tief ins Detail. Das ist eine ganz andere Herangehensweise. Auch Musikvideos schneide ich gerne. Früher habe ich selbst viel Musik gemacht und nun macht es mir Freude, in Musikvideos den Rhythmus der Musik mit dem Rhythmus des Schnittes zu verbinden. Außerdem ist ein Musikvideo aufgrund seiner Kürze kein Projekt, das so viel Zeit in Anspruch nimmt wie ein Dokumentarfilm. Ideal ist es also für mich, wenn sich diese unterschiedlichen Filmgenres in einem gewissen Rhythmus abwechseln.
Gibt es ein Projekt, an dem du besonders gerne mitgearbeitet hast?
Ein besonders prägendes Erlebnis war für mich die Mitarbeit an dem Dokumentarfilm FUTURE WORKS (2011, SWR), bei dem meine Lebensgefährtin Nataša von Kopp Regie geführt hat. Das war einer meiner ersten Filme nach der Filmakademie und er drehte sich um das Thema „Die Zukunft der Arbeit“. Wie wollen wir gerne leben? Was ist das Ideal? Wie viel Zeit räumen wir im Leben dem Geldverdienen ein, wieviel Zeit der ehrenamtlichen Tätigkeit und wieviel Zeit verbringen wir mit Dingen, die wir wirklich, wirklich machen wollen? Das war ein sehr spannendes Thema und hat mich auch persönlich geprägt.
Wenn ich einen Film schneide, gibt es immer auch Sachen, die ich für mich persönlich daraus gewinnen kann. Man versteht die Charaktere und man versteht vielleicht einen neuen Aspekt der Welt, in der wir leben.
Das Schöne am Beruf des Filmeditors ist, dass man die erste Instanz ist, die nach dem Dreh das Filmmaterial sichtet. Als erster Zuschauer kommt man zum Projekt hinzu und sieht sich die Aufnahmen an. In einem Material liegt oftmals das Potenzial für verschiedene Filme. Gemeinsam mit der Regisseurin oder dem Regisseur finde ich dann die Richtung, die dem Film und den Charakteren gerecht wird.
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Für 2017 habe ich wieder eine Anfrage für einen Dokumentarfilm, auf den ich mich sehr freue. Freiberuflich bin ich ja nebenher auch noch als Editor für den WDR tätig, was mir ein gewisses Grundeinkommen sichert. Ansonsten verbringe ich gerne viel Zeit mit meiner Familie und meinen beiden Kindern (2 und 6 Jahre alt).
DAS INTERVIEW FÜHRTE: Meike Katrin Stein
Foto: Wolfgang Busch