Philipp Sichler, Absolvent Bildgestaltung/Kamera

Musik erzeugt eine Stimmung, malt dem Zuhörer Bilder in den Kopf. Die Kamera erzeugt ebenfalls Stimmungen, statt dem Ohr kommen die Augen zum Zuge. Zwei verschiedene Medien, die für Philipp Sichler aber eine gleiche Funktion erfüllen können.

„Wenn ich Musik höre, dann entstehen Bilder und Atmosphären, die dunkel, hell, bunt oder farblos sein können, und das ist ja in der Kameraarbeit ein Großteil davon, wie dann auch eine bestimmte Stimmung erreicht wird. Das ist für mich die Parallele.“

Von 1999 bis 2005 studierte er Bildgestaltung/Kamera an der Filmakademie. Obwohl ein Musikstudium eigentlich sein erklärtes Ziel war. Doch wie er selbst fand, reichte sein Talent an der Trompete nicht aus. Neues zu lernen ging nicht so leicht von der Hand, wie es bei anderen der Fall war. Also irgendwann die Frage: Was stattdessen?

Stattdessen kam nach einer achtmonatigen Weltreise die Ausbildung zum Mediengestalter. Und eine Bewerbung für ein Studium in Regie. Aus der nichts wurde.

Für Philipp Sichler eher ein Glücksgriff, im Nachhinein erschien ihm die Bewerbung doch recht unreif. Nach außen hin war mit Film eben der Regisseur verbunden – und die anderen Praktikanten der Firma bewarben sich auch dafür.

Die Zwangspause zwischen den Bewerbungen führte ihn schließlich zur Kamera. Und zu der Erkenntnis, dass er damit viel einfacher kreativ sein konnte, als es mit der Trompete der Fall war.

Und noch in anderer Hinsicht war die Erfahrung wertvoll. Während er in Berlin bei der Aufnahmeprüfung abgelehnt wurde, lernte er gleich zwei Freunde kennen, und zu dritt waren sie allesamt in Ludwigsburg erfolgreich. Und mit einem der beiden, Regisseur Florian Schwarz, arbeitete er daraufhin auch zusammen. Zum Beispiel beim 90-minütigen Diplomfilm KATZE IM SACK. Gedreht auf MiniDV, da für 16mm nicht genug Budget da war. Klingt vielleicht entmutigend, aber wie schon bei der Bewerbung hilft einem manchmal eben das Schicksal auf die richtige Spur. Das Team kaufte sich zwei handelsübliche MiniDV-Kameras, mit denen es sich daraufhin umso spontaner arbeiten ließ. Mit denen sich das Konzept des Filmes, möglichst unauffällig und kreativ zu sein, umso besser umsetzen ließ. Was damals noch keiner wusste: Dass der Film später ins Kino kommen würde und auch der Berlinale einen Besuch abstatten würde. Vom Verleih wurde der Film noch extra auf 35mm aufgeblasen – ein Look, der vorher auch nie vom Team getestet wurde. Das Ergebnis war dafür umso überzeugender.

Also Kontrast zu KATZE IM SACK drehte Philipp Sichler auch den Diplomfilm DIE KETTE. In dem Fall reichte das Geld für einen Dreh auf 16mm. War jetzt das eine oder das andere reizvoller? "Am Ende hat das technische Format gar keinen so großen Unterschied gemacht, außer dass wir am Ende viel mehr Material drehen konnten auf MiniDV." Denn was dem Kameramann wichtig war: eine sorgfältige Arbeit mit dem Licht. Und da nimmt sich das eine Material zum anderen doch nicht viel. Am Ende ist mehr die Frage wichtig, was der Film erzählen soll, und auf welche Weise. Und danach sollte das Arbeitsgerät gewählt werden. Philipp Sichler sieht es positiv, dass es durch die technische Entwicklung immer flächendeckender möglich wird, hochwertiges Material zu produzieren. "Und wenn man sich doch mal aus finanziellen Gründen für ein bestimmtes Format entscheiden muss, dann sollte man dem gegenüber auch positiv sein und sagen, jetzt gebe ich dem Format die Hand und schaue, was wir da rausholen können und betrachten die guten Seiten."

Nach mehreren „Tatorten“ und Kinofilmen kommt dabei auch noch keine Routine auf. Mit SCHWEINSKOPF AL DENTE steht aktuell eine bayerische Komödie an. Auch für den Kameramann ändert sich die Herangehensweise. Die Schauspieler brauchen mehr Spielraum, es muss öfters gleich der ganze Raum ausgeleuchtet werden. Und das eigentliche Timing entsteht erst im Schnitt. Der Film entsteht nicht auf den Punkt in der Kamera, sondern die Kamera liefert  gleich mehrere verschiedene Einstellungsgrößen, um hinterher besser variieren zu können. Klingt erst ein Mal für den Kameramann recht unspektakulär? Ist es für Philipp Sichler keineswegs. Denn die häufig weitwinklige Bildgestaltung bedeutet auch, man sieht viel mehr vom Raum. Lichtkonzept und Ausstattung müssen mit dem Szenario ganz anders umgehen. Dieses „anders“ ist es, was dann den Reiz ausmacht.

Fragt man Philipp Sichler nach Filmvorbildern, hält er sich mit eindeutigen Antworten zurück. OLDBOY nennt er zum Beispiel als Offenbarung. Darum mache man Filme, wenn so etwas dabei herauskommt, das einen so emotional mitnimmt. Aber ansonsten bemüht er sich vor allem darum, nicht zu schnell zu sagen, ob oder warum ihm ein Film gefällt. Sondern das Ganze differenzierter zu betrachten: Warum genau findet man einen Film gut, was ist das Besondere daran? Oder das, was einen explizit daran stört?

Für seine eigenen Filme gilt: "Emotional versuche ich, so nah wie möglich dran zu sein, das richtige filmische oder technische Mittel zu finden, das darzustellen oder ausdrücken, was in der Szene beschrieben ist." Da kann es sein, dass im einen Film praktisch gar nicht geschwenkt wird, und im nächsten sitzt die Kamera permanent auf der Schulter.

Philipp Sichler möchte sogar explizit, dass zumindest technisch nicht sofort ersichtlich ist, von wem der Film stammt. Dann wäre auch die Herausforderung weg, stets was Neues auszuprobieren. Wichtig ist vor allem das Drehbuch, das ihn als Kameramann genau treffen muss. Und wie definiert man dann den eigenen Wunschfilm? "Wenn am Ende so ein Bollwerk entsteht, ein Film, der wasserdicht ist und man denkt, der hätte nicht anders gemacht werden können – das ist dann für mich ein Wunschprojekt." Wichtig ist ihm dabei vor allem, genügend Zeit für das Projekt zu haben, ausreichend Drehzeit, um das Projekt so umzusetzen, wie es gewollt ist. Aber das mit der Zeit ist ja leider beim Filmemachen so eine Sache...

Sein Rat am Ende ist noch, nicht irgendwas zu machen, nur um etwas gemacht zu haben. Es sei denn natürlich, der finanzielle Druck ist da. Es ist eben auch möglich, dass man nicht weiß, was im nächsten Jahr passiert. Und dem sollte man positiv gegenüber stehen, sonst wird einen das nur zermürben.

Alumni-Profil

Autor: Peter Wedig

Foto Philipp Sichler: © Hagen Keller