Nicolas Steiner, Absolvent Dokumentarfilm

Von einem Raumfahrer

Above and below. Vom Mars zur Erde. Vom Wallis nach San Francisco. Drummer und Totengräber. Passion und Aufopferung. Saunas und die öde Weite der Wüste. Kühe und Astronauten. Dokumentarfilm-Alumnus Nicolas Steiner ist ein Mensch der Pole, der Vielfalt in Zeit und Raum, an vielen Orten zuhause – ein „Raumfahrer“.

Seine Filme und ihn in eine cineastische Schublade einzuordnen, fällt schwer, zu unterschiedlich sind die Stile, Genres, Bildsprachen, Sujets auf den ersten Blick. Seine Themen balancieren irgendwo zwischen Tradition und Moderne, wertfrei, dafür mit warmem, innigem und interessiertem Blick für den Einzelnen.

Das eklektische Studium an der Filmakademie findet er rückblickend „ideal“ für sich. Wer will, kann. „Ich nutzte das Angebot, die Experten, das Wissen. Ich werkelte, sinnierte, experimentierte. Die Filmakademie bot den Raum dafür.“ Und in der Tat folgten und folgen nun viele, viele Festivaleinladungen und Preise für seine hier entstandenen Filme, aber der Weg war oft auch mit Steinen gesäumt.

Den Anfang nahm Nicolas´ alpine Karriere im Wallis, einem Schweizer Bergkanton im Süden. Da ist er aufgewachsen und da liebt er es noch immer. „Ich komme so oft zurück, wie es die Zeit eben zulässt. In der Enge der Talschluchten und überragt von Bergen spielte sich vieles in der Fantasie ab. Und so entstehen gerne Sehnsüchte und Geschichten.“

Aber der Filmemacher in ihm musste sich noch gedulden. Denn seinen Einstand beim Film feierte Nicolas zuerst vor der Kamera - als Darsteller in einer Schweizer Kinokomödie. Dort lernte er während der Dreharbeiten Kaya Inan kennen, ebenfalls späterer Student in Ludwigsburg und heute noch Nicolas` Editor. Bevor es ihn selbst aber 2007 ins Schwäbische verschlug, studierte er zuerst am European Film College in Dänemark. Sein dortiger Abschlussfilm über einen Schlachter, nach eigenen Abgaben „äußerst blutig-realistisch“, reichte er als Bewerbungsfilm für den Studienschwerpunkt Dokumentarfilmregie ein und wurde angenommen.

An diesem Punkt nun begann Nicolas` steter Aufstieg nach Locarno, Rotterdam, zur Berlinale und in die ganze Welt. Nicolas erscheint es heute noch als Märchen, wie sich das alles entwickelt hat. Und wie es immer weiter ging.

Erfolg bringt manchmal die physikalischen Gesetze der Schwerkraft durcheinander. Glücklicherweise ist er am Boden geblieben. Wie ein fleißiger Handwerker, der eben einfach gewissenhaft und mit nie schwindender Leidenschaft zufrieden sein Tagwerk verrichtet.

SCHWITZE, so der Name seines Regie 1-Films, schaffte es bis nach Locarno, dem wohl international wichtigsten Schweizer Filmfestival. Zwei Männer, ein Shot, Schweiß. Salzig schmeckende Hautabsonderung auch seitens der Macher: Im Studio 2 wurde eine kleine Sauna gezimmert – und die Bretter später wieder zu IKEA zurückgebracht und der Kaufpreis ausgelöst.

Die Filmgestaltung 2 stellte aber dieses erste Erfolgserlebnis von SCHWITZE gleich wieder in den kühlenden Schatten. Die kurios-skurrile Plansequenz ICH BIN`S HELMUT ist einfach innovativ, frisch, anders: Sprechende Köpfe, Blasmusik, umstürzende Wände. Sie bekam den Schweizer Kurzfilmpreis, wurde für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert, schaffte es auf die Shortlist für die Oscars 2011. Der Erfolg kam nicht von ungefähr. Unzählige Nachtschichten wurden in das Projekt investiert, die Wände und Bauten hergestellt und schließlich mit dem Auto in die Schweiz gekarrt, nur um am Zoll – „Uswiis bittä“ – aufgehalten zu werden. Seine ganze Familie unterstützte das Projekt, spielte mit. Der Film lief weltweit auf über 240 Festivals, wurde ins Ausland verkauft. Wie könnte man das im studentischen Rahmen noch toppen?

„Filmemachen ist für mich bis heute ein großes Abenteuer“, beschreibt Nicolas seinen Weg. Er, der immer unterwegs ist. In KAMPF DER KÖNIGINNEN etwa, seinem Drittjahresfilm, versuchte Nicolas dann formal andere Wege zu gehen. Den Dokumentarfilm über den archaischen Kuhkampf im Schweizer Hinterland drehte er mit der RED-Kamera in kernigstem Schwarzweiß. Wenn in dieser Bildgestaltung dann die schnauzbärtigen Besitzer der Kühe wortkarg Stellung beziehen, versprüht das den spannenden und anmutigen Charme eines Spielfilms. Hier waltete ein Heimatfilmer im besten Sinne, blickt diese urige Tradition doch tief in die Schweizer Seele, ohne sie allzu romantisierend zu verklären.

„Ab diesem Zeitpunkt, wo auch die Budgets und Visionen größer wurden, begannen schulintern Komplikationen. Das möchte ich nicht verschweigen, aber es ist auch größtenteils aus der Welt geräumt und gehört zu den Erfahrungen dazu. Gesunde Reibung und Widertand stacheln zudem an.“ Sein Diplomfilm ABOVE AND BELOW hatte einige Hindernisse zu nehmen, bevor er ihn endlich nach mehrmonatiger Recherche- und Drehphase in den USA produzieren konnte. Allein der Trailer überrascht mit einer für einen Dokumentarfilm wunderbaren Optik. Hinzu kommt der hervorragende Score von Paradox Paradise (John Guertler, Jan Miserre, Lars Voges), die dafür im Sommer 2015 mit dem Deutschen Dokumentarfilmmusikpreis ausgezeichnet wurden. Und als Schmankerl wurde in Zusammenarbeit mit dem von Adam Yauch (Beastie Boys) gegründeten US-Kinoverleih Oscilloscope Laboratories der Soundtrack als limitierte Plattenaufnahme veröffentlicht.

Nicolas´ Abschlussfilm gewann etliche internationale Festivalpreise, wurde 2016 mit dem Schweizer und dem Deutschen Filmpreis als Bester Dokumentarfilm und einer LOLA für die Beste Kamera/Bildgestaltung (Markus Nestroy) prämiert. Und das Branchenfachblatt „Variety“ wählte ihn unlängst auf Platz 6 der besten Filme 2015, noch vor STAR WARS – DAS ERWACHEN DER MACHT.

Wie HELMUT und KÖNIGINNEN deutlich von Nicolas´ Herkunft inspiriert sind, so ABOVE AND BELOW von einem Stipendiatsaufenthalt in San Francisco. Er porträtiert darin Aussteiger in Amerika, Überlebende. Menschen, die für ihre Mars-Mission trainieren, oder Tunnelmenschen in Las Vegas. Obwohl Tausende Meilen voneinander entfernt, sind diese Menschen den Wallisern ähnlich, Ausgesetzte einer Zivilisation, entdeckt von einem Raumfahrer.

ABOVE AND BELOW durchläuft gerade den internationalen Festivalbetrieb auf allen fünf Kontinenten mit Kinostarts in mehreren Ländern. Aber als Nicolas von dem magischen Moment vom Dreh in der kalifornischen Wüste bei einer verlassenen Mine erzählt, wo sie spontan einen Berg mit Kletterseilen erklommen und dann die sagenhafte Aussicht genossen haben, klingt das doch vertraut nach Heimat. Der Blick über die Walliser Täler ist vielleicht doch nicht so anders als der am anderen Ende der Welt?

Alumni-Profil

Autor: Marc Vogel

Foto Nicolas Steiner: © Laura Killian