Mareike Ottrand, Absolventin Motion Design

„Für meinen Job muss ich spielen. Und kann es sogar von der Steuer absetzen“

Diplom mit 28, Deutscher Computerspielpreis mit 30, Professur mit 31: Mareike Ottrand mischt die deutsche Game-Branche auf. Dabei hatte sie während des Studiums an der Filmakademie noch keinen genauen Plan. Mit Leichtigkeit und Mut bahnte sie sich den Weg zum Erfolg.

Mareike Ottrand hätte sich keinen besseren Zeitpunkt für einen Abstecher nach Stuttgart aussuchen können: Die Sonne strahlt, dank FMX und Internationalem Trickfilmfestival strömen hunderte Kreative aus aller Welt in die Stadt, am Schlossplatz flimmern Animationsfilme über die Leinwand. Auch um Mareikes Hals baumelt ein Festivalpass für die FMX, die wichtigste europäische Konferenz in den Bereichen Animation, Effekte, Games und Transmedia. Eigentlich hätte sie dort einen Vortrag halten sollen, erzählt sie, der Bahnstreik hat das jedoch verhindert. Also genießt Mareike die Messe als Besucherin. 

Zwischen verschiedenen Rollen hin und her zu wechseln, ist die 31-Jährige gewohnt: Mareike ist Art Direktorin, Teilhaberin an einem Games-Studio, gefragte Rednerin, Jurorin bei Preisverleihungen und neuerdings Professorin für Interaktive Illustration und Games in Hamburg. Dass sie Designerin werden wollte, wusste Mareike schon als Kind. Ihren Einstieg in die Spielebranche verdankt sie jedoch vor allem einem glücklichen Zufall: dem Zusammentreffen mit ihren späteren beiden Kollegen Sebastian und Alexander bei einem Workshop der Filmakademie. Im Dreier-Team entwickelten sie 2010 die Idee für ein Computerspiel, das – ohne zu übertreiben – ihr aller Leben verändern sollte. Sebastian Mittag studierte Interaktive Medien an der Filmakademie, Alexander Pieper Informatik an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Sein Praxissemester verbrachte er an der Filmakademie. Mit Mareike als Motion Designerin war das Dreigespann perfekt. „Ich weiß heute, wie viel Glück wir hatten, uns so früh zu finden. Es kommt selten vor, dass sich ein richtiges Team findet, das sich optimal ergänzt und sich gegenseitig lesen kann. Auch der Zeitpunkt war perfekt – keiner von uns hatte Kinder oder ähnliche Verpflichtungen." Alle drei bestritten mit THE INNER WORLD – diesen Namen gaben sie dem Spiel später – ihr Diplom. Mareike hat dafür die Charaktere und das Setting entworfen. Und dabei keine Mühen gescheut: Dem Spiel liegt ein eigener Kosmos zugrunde. Asposien, der Schauplatz von THE INNER WORLD, ist kein lebloses Spielfeld aus Bits und Bytes. „Wir haben uns überlegt, was man in Asposien essen, trinken und wie man seine Freizeit verbringen könnte, uns Gedanken über das Wirtschafts- und Regierungssystem gemacht. Als kleinen Gag haben wir uns sogar eine Nationalhymne ausgedacht“, erzählt Mareike begeistert. 

An einem Frühlingstag nahm ihre Karriere richtig Fahrt auf: Am Morgen des 2.5.2011 meldete sie mit ihren beiden Kollegen Sebastian und Alexander die Firma an, um kurz darauf zur Diplomprüfung anzutreten. Auch in den folgenden Monaten ging alles ganz schnell: Die Zusage der MFG über eine Förderung in Höhe von 100.000 Euro für THE INNER WORLD war der Startschuss für das erste eigene Spiel von Studio Fizbin – so nannten Mareike, Sebastian und Alexander ihre Firma. Ohne die Förderung wäre das Spiel wohl nie auf den Markt gekommen. In welcher Größenordnung sich ein Spiel wie THE INNER WORLD bewegt, dämmerte den Jungunternehmern schon bald: „Am Anfang dachten wir, mit 100.000 Euro könnten wir die ganze Welt kaufen. Doch wenn man über einen längeren Zeitraum Personal, Büroräume und Software bezahlen muss, ist das Geld ganz schnell weg", erinnert sich Mareike.

Bis zum Deutschen Computerspielpreis, den das Studio Fizbin 2014 für THE INNER WORLD erhielt, war es ein langer Weg: In den ersten Wochen trafen sich Mareike und ihre Kollegen in Sebastians Wohnzimmer, um über dem gemeinsamen Spiel zu brüten. Mit dem Einzug in eine Ludwigsburger Bürogemeinschaft kamen viele fleißige Helfer hinzu – unter anderem auch Praktikanten, die Kreativluft schnuppern wollten. Mareike trägt ein Strahlen im Gesicht, wenn sie von der aufregenden Anfangszeit erzählt: "Das war schon toll. Das Spiel war wie ein erstes Kind für uns. So eine verrückte Zeit erlebt man nur ein Mal, manchmal vermisse ich das."

Auch die erste Auszeichnung war ein prägendes Ereignis. Als Alexander Dobrindt verkündete, dass THE INNER WORLD den Preis für das beste deutsche Computerspiel erhält, wusste Mareike nicht, wie ihr geschah. „Ich hatte mir an dem Tag mehrmals Baldrian eingeflößt und bin im Laufe des Abends immer blasser geworden. Für uns hieß es alles oder nichts, denn wir waren nur in dieser einen, wichtigsten Kategorie nominiert." Auf Videos von der Preisverleihung sieht man den glücklichen Gewinnern ihre ehrliche Freude an. Mareikes Kollege Sebastian übernahm die Dankesrede – und Mareike freute sich, nur grinsend daneben stehen zu dürfen. Sie zeigt mir den Talisman, der sie seitdem überall hin begleitet: die Pfandmarke des ersten Getränks, das sie nach der Preisverleihung bestellt hat. 

Mit den 50.000 Euro, die mit dem Preis verbunden waren, arbeitet das Studio Fizbin an seinem neuen Spiel: BEYOND THE MOUNTAINS ist ein Survival-Adventure, das auf einem Universum des Horror- und Fantasy-Autors H.P. Lovecraft basiert. Wieder steckt eine spannende Geschichte dahinter, wieder denken die Spielemacher an jedes feine Detail. Mareike weiß, wie wichtig Storytelling ist: „Für mich sind Spiele gut, wenn sie dich auf irgendeine Weise berühren. Wenn ein Spiel dich in einem ganz, ganz kleinen Teil verändert, muss es ein gutes Spiel sein." Wenn ihr Fans schreiben, dass sie sich Geschichten für eine Fortsetzung von THE INNER WORLD ausgedacht haben oder wenn eine Mutter erzählt, dass sie das Zimmer ihrer Tochter nach Mareikes Vorlage dem Zimmer der Protagonistin Laura nachempfinden will, weiß Mareike, dass sie das Richtige tut.

In ihrer neuen Aufgabe als Professorin gibt Mareike von Montag bis Donnerstag Wissen und Erfahrung an den Nachwuchs weiter. Dafür muss sie unter anderem selbst Spiele testen: „Ich kann die Spiele sogar von der Steuer absetzen, ist das nicht toll?", scherzt sie. Die Interaktive Illustration ist ein junges Feld, Mareike bereitet als Professorin den Weg und setzt vor allem auf Projektarbeit, wie sie es aus Filmakademie-Zeiten kennt. Denn so wohl sie sich in all ihren Rollen auch fühlt: Am schönsten findet Mareike es, zu sehen, dass Projekte Gestalt annehmen. Egal, ob sie selbst Hand anlegt oder ihre Studierenden dabei betreut. „Wenn ich merke, da brodelt es gerade, da dampfen die Kessel und es entsteht etwas Kreatives: Für diese Momente liebe ich meinen Beruf."

Alumni-Profil

Autorin: Ana-Marija Bilandzija