Lukas Schmid, Absolvent Dokumentarfilm
Berlin, Kreuzberg, Oranienplatz 14, zu sehen ein Ladeneingang mit der Aufschrift „Oranien Apotheke“ - Lukas Schmid steht auf dem Treppenabsatz zur seiner neuen Bar „ORA“ und bittet mich hinein. Die seit fünf Monaten bestehende Bar, tagsüber eine Brasserie, stillt seine Sehnsucht nach einem Projekt, das sich über Jahre entwickelt. „Ich war zuletzt ständig als Kameramann und Auftragsregisseur unterwegs, habe mich sehr in die Pflicht begeben, so wurde mein Dokumentieren mehr und mehr zum Beruf, eigene Projekte stehen hinten an“, erzählt Schmid, als er auf einer Eckbank Platz nimmt, eingerahmt von alten Apotheker-Einbauschränken. Auch die Wanduhr entstammt stilecht den 1920er Jahren.
Schmid ist Dokumentarfilmer - Regisseur, Kamera- und Tonmann in einem. Er empfindet es als ein kreatives Embargo, wenn die eigenen Fähigkeiten nur noch dem Ertrag gewidmet werden. Deshalb auch der Schritt in die Gastronomie, um sein Einkommen künftig filmfremd zu erzielen, sowie seine „Handschrift zu entstauben, sich zu renovieren, sich neu zu entdecken.“ Schmid möchte in Zukunft wieder mehr aus seinem künstlerischen Anspruch heraus Filme machen – wie zu Zeiten der Filmakademie und in den zehn Jahren danach. Diese Erfahrungen kann ihm niemand nehmen.
Den Wunsch nach finanzieller Sicherheit belegt er mit seiner schweizerischen Identität. Der 1977 in Baden Geborene wuchs in der Tradition auf vorsichtig miteinander umzugehen, emphatisch zu sein und dafür zu sorgen, dass es dem Gegenüber gut geht. An der Filmakademie hingegen lernte er mit der Direktheit der Deutschen umzugehen. „Ich habe gelernt, wie man durch Konflikte zusammenwächst und wie hilfreich Kritik an den Filmen sein kann“, sagt der Schweizer.
Im Grunde wusste Schmid schon beim Abitur, dass er an die Filmakademie möchte. Auch deshalb hat er 1996 ein Praktikum bei TMT-Productions absolviert, denn das sicherte ihm damals den Zugriff auf die Technik, „und weil das ein kleiner Laden war, konnte ich alles ausprobieren.“ Klein war auch sein Heimatdorf, so dass das Filmemachen für ihn auch immer ein Entschwinden der Enge war. „Wenn du Filme machst, schlüpfst du irgendwie in das Leben der Anderen.“ Szenische Regie war aber nie sein Ziel – viel zu viel Kontrolle nötig. „Wir bewegen uns alle in der gleichen Welt; ich wähle nur den Ausschnitt“, sagt Schmid.
Seinen dokumentarischen Stil hat er an der Filmakademie entwickelt. Anfangs war sein filmisches Selbstvertrauen klein, da seine Kommilitonen „älter, viel erfahrener waren und alle tolle Filme gemacht haben.“ Also experimentierte er die ersten zwei Jahre. Die filmische Zuversicht kam mit zunehmendem Zuspruch: „1998 in solch ein filmisches Kloster gesteckt zu werden hat mir überhaupt erst gezeigt, mit welcher Intensität man Filme machen kann.“
Intensität ist auch das, was seine Dokumentationen ausmacht. Durch reines, vorurteilsfreies Beobachten, mit Verzicht auf Interviews, will Schmid möglichst authentisch und intuitiv erzählen. Deshalb macht er seine Filme alleine. Eine Mauer aus Kameramann, Tonmann und Regisseur verändere die Menschen. „Nähe aufbauen kann man nur, wenn man selbst Nähe zulässt. Das Fingerspitzengefühl in bestimmten Momenten auch ganz bewusst die Kamera auszuschalten - nicht alles mitzunehmen - schafft ein enormes Vertrauen.“
Dass der Betrachtungswinkel den Film macht, hat er bei seinem Abschlussfilm INTIMITÄTEN (2003) gezeigt. Pornografie als Thema scheint auf den ersten Blick an sich intim zu sein. Doch die Suche nach der Persönlichkeit der Darsteller hinter dem inszenierten Geschlechtsakt zeigt wirkliche Nacktheit und Intimität. Die Dokumentation erhielt dafür den First Steps Award als bester Dokumentarfilm der deutschsprachigen Filmhochschulen 2003.
„Als Kameramann bist du Voyeur. Du konzentrierst den eigenen Blick und nimmst Anteil an anderen Persönlichkeiten.“ Die Kamera sei dabei auch Katalysator für Momente, und der gewählte Bildausschnitt in Kontext gesetzt erzeugt die Dramatik - und vermag hoffentlich einen Zuschauer zu berühren.
Den richtigen Ort für seine berufliche Tätigkeit nach der Filmakademie hat Schmid in Berlin gefunden. „Zum einen sind die Aufträge hier, zum anderen kommen alle immer wieder her, man bleibt in Kontakt – ganz abgesehen von den großzügigen Wohnungen“, so Schmid. Sein erstes Projekt als Freelancer und Kameramann nach der Akademie war DAS KANZLERAMT (2004), mit Thomas Schadt als Produzent.
Wichtig für Schmid und seine Projekte: Für ihn darf es nicht zu verkopft werden. Er liebt klare Milieus wie „Gated Communities“, „Erziehungsanstalten“, „Schatzsuche“, oder eben „Kanzleramt“ - alles Bühnen, „auf denen ich ohne viel Eingriff Spannendes erwarten kann“, erklärt Schmid. Das wohl intensivste Projekt war für ihn EIN PROZENT (1%) aus dem Jahr 2005, weil er bei den Dreharbeiten auf dieser Schatzsuche an seine eigenen Grenzen gegangen ist. Der Film sei eine kleine Perle, „und erzählt ganz klein und fein von den inneren Turbulenzen einer Männerfreundschaft.“
Schmid hat ein gutes Gespür für Menschen und Geschichten. Mittels Feingefühl, Offenheit und Respekt zeigt er in seinen Dokumentarfilmen alles, beweist dabei aber immer einen Sinn für Ästhetik und Klasse. Davon zeugt auch seine Bar - ein Ort mitten im Berliner Leben. Ein Ort, der vielleicht auch eine Inspirationsquelle für Lukas Schmid darstellt. Es bleibt jedenfalls spannend, welche weiteren Themen durch seine Linse eine Bühne bekommen werden.
Autorin: Ann-Katrin Boberg