Julia C. Kaiser, Absolventin Drehbuch

 

 „Da gehen in mir tausend Türen auf!“

Julia C. Kaiser hat die Filmakademie als akribische Drehbuchautorin verlassen. Inzwischen realisiert sie ihre Geschichten auch als Regisseurin und lässt den Schauspielern dabei vor allem viel Raum für Improvisation. „Als ich aus der ‚Aka’ raus war, musste ich mich von der Ausbildung und all der Technik erst wieder freistrampeln.“

Julia weiß schon sehr früh, dass sie Geschichten erzählen möchte. Als sie sechs oder sieben Jahre alt ist, sieht sie zum ersten Mal den Schwarzweißfilm DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER. „Dass Erich Kästner in der Verfilmung seines Romans als Erzähler auftritt, hat mich fasziniert. Für mich haben sich auf einmal zwei Realitäten miteinander kombiniert. Ich glaube, ich habe da die Entscheidung für dieses Medium gefunden, dass ich damit Geschichten erzählen möchte.“ Julia denkt sich Geschichten aus, bringt sie fleißig zu Papier und realisiert mit ihren Freunden erste filmische Versuche. Nach ihrem Abitur verfolgt sie ihren Berufswunsch weiter und macht „eins, zwei, drei, vier…also gefühlt: viele Praktika“ in den Bereichen Film, Fernsehen und Theater, findet dort aber nirgends die Nische, in der sie sich wohlfühlt. „Ich war danach sehr entmutigt. Damals wusste ich nicht zu schätzen, wie viel es wert ist zu wissen, was man nicht will.“

2006 folgt Julia einem Impuls und bewirbt sich mit ihren Geschichten an der Filmakademie für den Studienschwerpunkt Drehbuch. „Ich hab mir gesagt, ich versuche das jetzt einmal, und wenn es sein soll, dann klappt es. Und wenn nicht, dann gehe ich nach Wien.“ Dieser Plan B ist schnell verworfen, denn sie wird an der Filmakademie angenommen. In ihrem zweiten Studienjahr entsteht der Kurzfilm AMOKLOVE, für den Julia das Drehbuch schreibt und die Regie übernimmt. Der Film heimst diverse Festivalpreise ein und wird später vom BR, WDR und RBB ausgestrahlt. 2009 entwickelt sie mit ihrem Kommilitonen Jens Wischnewski, der Regie studiert, das Drehbuch für LIVE STREAM: ein 45-Minüter, der in Koproduktion mit BR, SWR und ARTE realisiert wird und seine Premiere auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis feiert. 2011 entsteht, ebenfalls in Kooperation mit BR, SWR und ARTE, Jens’ Abschlussfilm DIE WELT DANACH, dessen Drehbuch wieder aus Julias Feder stammt. Mit dem Wissen um das Autorenhandwerk im Gepäck und dem Abschluss in der Tasche verlässt sie 2012 die Filmakademie. „An der Aka habe ich ganz viel Handwerk gelernt, und ich habe viele, viele - liebe, liebe Menschen kennengelernt, mit denen ich auf eine Art aufwachsen konnte, mit denen ich die ersten Schritte gemacht habe und mit denen ich bis heute zusammenarbeite“, sagt sie.

Nach ihrem Abschluss zieht Julia nach Berlin und beginnt dort als freischaffende Drehbuchautorin zu arbeiten. „Am Anfang konnte ich, obwohl ich eine gute Startposition hatte, davon kaum oder nur sehr schwer leben. Was mir geholfen hat, war zu der Haltung zurückzufinden, dass man das Wertvollste, was man als Autor hat - nämlich die Kraft zu erzählen und die Ideen - nicht gleich unter das Joch der Wirtschaftlichkeit stellt und sagt: Damit muss ich sofort Geld verdienen.“ Als Julia sich von der Vorstellung verabschiedet hat, auf Anhieb von ihrem Beruf als Drehbuchautorin leben zu können, bekommt sie die ersten Angebote von Produktionsfirmen, durch die sie sich finanzieren kann und für die sie sich nicht verbiegen muss. Obwohl Julia sich nach einer neuen Form ihrer Arbeit als Autorin sehnt, lehnt sie zuerst das Angebot der mit ihr befreundeten Schauspielerin Julia Becker ab, bei einem improvisierten Spielfilm Regie zu führen. Nach etwas Bedenkzeit sagt Julia doch zu, stellt aber ein paar Bedingungen: „Weil ich gemerkt habe, wie unfassbar langsam die deutsche Filmwirtschaft funktioniert und wie sehr dieser Umstand kreative Energien hemmt und dann auch einfach wieder verpuffen und versiegen lässt, habe ich gesagt, ich möchte sender- und förderunabhängig arbeiten, damit das Projekt ganz schnell entsteht.“ Julia verfasst das Buch für das gemeinsame Impro-Filmprojekt DAS FLOSS!, um die grobe Handlung und Dramaturgie festzulegen, an der sich die Schauspieler beim Improvisieren orientieren sollen. „Als Autorin bin ich jemand, der sehr kleinschrittige Bücher schreibt, die sehr genau sind. DAS FLOSS! ist genau in der Zeit entstanden, in der ich mich davon wieder freischaufeln wollte. Ich konnte mir die Freiheit nehmen zuzulassen, dass Dinge im Moment entstehen und mir bewusst machen, dass es immer mehrere Möglichkeiten gibt, wie etwas gut sein kann.“

DAS FLOSS! wird Julias Langfilmdebüt als Regisseurin. Der Film wird über Crowdfunding finanziert und feiert 2015 auf dem Max Ophüls Preis seine Premiere. Während der Vorstellung beginnt der vollbesetzte Saal zu klatschen: „Dass man anderen Menschen so eine Freude bereiten kann, war toll zu sehen. Sowas habe ich vorher noch nie erlebt, und das werde ich noch lange in mir tragen.“ Mit DAS FLOSS!, habe sie eine neue Arbeitsweise gefunden, die sie inspiriert: „Drehbuchautoren und Schauspieler haben eine große Gemeinsamkeit: Beide haben die Aufgabe, bedingungslos aus ihren Figuren heraus zu denken. Für mich ist das eine unglaublich fruchtbare Zusammenarbeit, die Riesenspaß macht. Da gehen in mir tausend Türen auf!“ Von nun also Regisseurin? Oder doch Autorin? „Ich finde nicht, dass ich mich entscheiden muss“, sagt Julia. Zu Recht, denn mit ihrem aktuellen Regieprojekt DIE HANNAS, das voraussichtlich 2016 zu sehen sein wird, verfolgt sie ihre neu gefundene Arbeitsweise weiter. Und mit dem Drehbuch für den Kinofilm DIE RESTE MEINES LEBENS, das sie wieder gemeinsam mit Jens Wischnewski verfasst hat und das gerade verfilmt wurde, bleibt sie gleichzeitig ihren Wurzeln treu. „Nach der Aka bin ich durch eine zweite Schule gegangen, und daraus hat sich jetzt ein Weg entwickelt, den ich versuche, weiter zu verfolgen.“

Alumni-Profil

Autorin: Uta Schindler