Johannes Kobilke, Absolvent Filmmusik
Johannes Kobilke wollte schon früh Filmkomponist werden. Das ist eine Erwähnung wert, denn in vielen Fällen scheinen Leute nur rein zufällig beim Film zu landen und wollten ursprünglich etwas ganz Anderes. Bei ihm war das nicht so. Der Wunsch kam bereits als Teenie auf. Das Komponieren selber sogar noch früher. Als kleines Kind ging es mit dem Klavierunterricht los, zum gleichen Zeitpunkt entstanden schon erste Improvisationen. Auch wenn es noch den Tipp des Klavierlehrers brauchte, diese Improvisationen mal aufzuschreiben. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht der Gedanke da, wofür genau diese Kompositionen sein sollten – bis er eines Tages auf ein Interview mit James Horner stieß. Jenem Filmkomponisten, den die meisten durch TITANIC, AVATAR und noch einige andere Blockbuster kennen. Die Beschreibung des Berufs klang faszinierend, und schon war die Initialzündung da. „Das wäre ein toller Beruf, eine tolle Aufgabe.“ Johannes Kobilke besitzt das Interview immer noch. Auch wenn er mit so einigem Abstand mittlerweile denkt: „Ach, da hat der ganz schön gepost.“ Ist es etwa kein toller Beruf? Doch, klar. Meistens.
Los ging es mit dem ernsthaften Komponieren für eine Theatergruppe in München. Bis ihm eines Tages die Leiterin erzählte, man könne Filmmusik sogar direkt studieren, und zwar in Ludwigsburg. „Ok, Ludwigsburg, wo ist das? So, wie es wahrscheinlich vielen geht.“ Doch zum Glück stellte sich nach ein paar Informationen raus: Das gibt’s wirklich. Johannes Kobilke schrieb sogar direkt einen Brief an den zuständigen Professor, er würde gerne hier studieren, ob das denn ginge? Ja, ginge, aber wie für jeden anderen auch steht zuerst eine Aufnahmeprüfung an. Zu der man erst zugelassen wird, kann man eine Zwischenprüfung in einem musikalischen Fach vorweisen. Kurze Enttäuschung darüber, dass es nun länger dauern würde. Und so begann Johannes Kobilke, Musikwissenschaft in München zu studieren. Exakt bis zur Zwischenprüfung. Mit dem Zeugnis in der Tasche ging es direkt nach Ludwigsburg, wo er dann auch auf Anhieb angenommen wurde. Über einen Plan B hatte er sich erst gar keine Gedanken gemacht.
1996 begann die Zeit für ihn an der Filmakademie, als einer von vier Filmmusik-Studierenden, und endete 1999 mit den Diplomfilmen EXOTHERM und MORGEN IN VERONA. Seither ist Johannes Kobilke hauptsächlich für deutsche Fernsehfilme tätig. Und dementsprechend für viele Krimis. „Deswegen denke ich, dass viele Leute meinen, ich könnte gut Krimis machen. Wobei ich auch andere Sachen gut könnte, glaube ich.“ Es sei nicht so, dass man sich dieses Genre als Nische aussuchen würde. Aber in Deutschland gibt es nun ein Mal viele Filme dieser Gattung.
Seine generelle Vorliebe? Wenn es packend wird. Packend vor Spannung oder Aufregung, vor Witz oder Tragik. „Wenn Extreme bedient werden müssen, das finde ich schön. In welcher Richtung auch immer.“ Werden Gefühle nur angedeutet in der Geschichte, ist es schon deutlich schwieriger den richtigen Ton zu treffen. Was zwar ebenfalls eine Herausforderung sein kann, aber die Extreme, zum Beispiel auch extreme Geschwindigkeiten, haben dann eben doch ihren eigenen Reiz. Und machen Johannes Kobilke entsprechend Spaß.
Zwei Mal durfte er dies besonders ausleben: Es ging nach Amerika, für zwei Filme direkt hintereinander. Horrorfilme. Es sei jetzt zwar nicht so, dass sich die Arbeit so grundlegend von der in Deutschland unterschieden hätte. Sowohl bei PATHOLOGY als auch bei THE MIDNIGHT MEAT TRAIN war es für ihn aber besonders bereichernd, dass es nicht darum ging Klischees zu bedienen. Sondern gerade von Seiten der Regisseure der Wunsch da war: „Do something new!“
Privat zieht es ihn gerne zu den Berliner Philharmonikern. Dabei ist es egal, ob es um zeitgenössische oder klassische Musik geht, vor allem das Erlebnis eines großen Orchesters steht im Vordergrund. Für ein solches zu komponieren hat auch seinen Reiz, aber das gilt genauso dafür, Elektronisches zu kombinieren, zu manipulieren. Filmmusik besteht eben nicht nur darin, etwas für ein großes Orchester zu machen.
Was dann aber den Unterschied ausmacht: Beim Film steht Musik nie für sich alleine, so wie es bei einem Konzert der Fall wäre. Die Rolle des Komponisten wird dadurch auch eine andere. „Geschichte plus Musik ergibt irgendwas Neues“ – so der Reiz daran. Der Komponist wird selbst zu einem Teil der Geschichte. Für Johannes Kobilke sollte die Filmmusik so sein, dass sie die Geschichte unterstützt. In der Form, dass etwas Besseres dabei rauskommt, als wäre die Musik nicht dabei. Dass man ohne sie denkt: Oh, da fehlt was. „So, wie wenn die Leute plötzlich stumm werden und man denkt, hey, die müssten doch eigentlich sprechen.“
Der entscheidende Punkt: Sich auf den Regisseur einlassen. Kommt eine Person wütend in den Raum gestapft, will der eine vielleicht pulsierende Musik dazu, um die Spannung zu erhöhen. Der nächste will einfach nur Stille. Und der dritte will ein bestimmtes Instrument nicht, weil er sich immer noch an die verhassten Unterrichtsstunden in seiner Kindheit dazu erinnern kann.
Für Johannes Kobilke sind Klavier und Keyboard seine persönlichen Hauptinstrumente. Dazu ein bisschen Kontrabass, Gitarre, Schlagzeug. Und zurzeit kommt noch die Geige hinzu. Beim Komponieren selbst entsteht rund 70% digital, auch wenn ein echtes Cello immer noch besser klingen mag. Und das bereits morgens um fünf Uhr, wenn das Komponieren losgeht, bis die Kinder aufwachen.
Der besondere Spaß geht für Johannes Kobilke meist dann los, wenn der Film ein Mal durchkomponiert ist. Wenn es an den Feinschliff geht, hier nochmal das Tempo etwas angepasst werden muss, da vielleicht der Einstieg doch erst später kommen sollte. Die allerersten Noten bei einem neuen Film, das ist der Punkt, der ihm am schwersten fällt.
Neulingen rät er dabei, durchaus eine eigene Handschrift zu entwickeln. Denn viele Regisseure sind froh, bringt der Komponist etwas Neues mit ein. Auch wenn das für den Komponisten bedeutet, dafür erst Mal sehr viel Zeit alleine im Studio zu verbringen.
Auf eine Sache ist Johannes Kobilke noch am Rande stolz: dass er noch nicht so verkorkst sei, bei einem Film nur noch zwanghaft auf die Musik zu achten. Und ihn so gar nicht mehr genießen zu können.
Autor: Peter Wedig