Interview mit Matthias Fleischer, Kameraabsolvent 2003

 

Von 1998 bis 2003 hat Matthias Fleischer, mittlerweile 41, Bildgestaltung an der Filmakademie studiert. Sein Diplomfilm „Wolfsschlucht“ handelt von dem armen Kinovorführer Abesalom, der sich in die schöne Lisa verliebt. Lisa ist von ihren Eltern jedoch bereits einem reichen Fabrikanten aus dem Nachbardorf versprochen. Für Abesalom bleibt für ein Einverständnis der Familie nur eins: Er muss reich werden. Tatsächlich gewinnt er sogar im Lotto, doch auf dem Weg, um den Gewinn einzulösen, verliert er das Los. Auf der verzweifelten Suche nach dem Los in einer endlosen Schlucht verliert er erst seine Hoffnung, dann auch seinen Verstand. Abesalom steht daraufhin eine erstaunliche Metamorphose bevor.

Der auf 35mm gedrehte Film lief unter anderem auf dem Camerimage-Festival in Polen, sowie bereits mehrfach im Fernsehen.

Ich hatte 2001 mit der Regisseurin Anja Jacobs den Film „Kuscheldoktor“gedreht – ob der wunderbaren Zusammenarbeit wollten wir unbedingt wieder einen Film zusammen machen, das war die nächste Gelegenheit.

Warum hast du dich damals für die Filmakademie entschieden?

Im Vergleich zu Babelsberg und München schien mir Ludwigsburg die beste Praxisbezogenheit und eine lebendige Schule zu bieten, an der viel Praxiserfahrung als Kameramann in einer überschaubaren Studiendauer von viereinhalb Jahren möglich sein würde.

Standort Ludwigsburg – Vorteil oder Nachteil?

Für mich als Berliner durchaus ein Vorteil durch die große Konzentration und die geringe Ablenkung.

Was ist die wichtigste Lektion, die du aus Ludwigsburg mitgenommen hast?

Selbst unter großem Stress immer wieder zu realisieren, dass ich gerade genau DAS mache, was ich schon immer machen wollte.

Was war dein prägendstes Projekt an der Filmakademie, und warum?

a) KUSCHELDOKTOR im zweiten Studienjahr – nach vielen Experimenten im ersten Jahr ging es hier das erste Mal um ein ‚richtiges’ Buch, einen ‚richtigen’ Film mit ‚richtigem’ Team – und hat eine Nominierung zum Studentenoscar eingebracht – und b) KIKI & TIGER, es hat die Zusammenarbeit mit Alain Gsponer eingeläutet, mit dem ich inzwischen alle seine 9 Spielfilme gedreht habe – beide Filme haben auch außerhalb der Filmakademie große Resonanz ausgelöst, Preise gewonnen, Türen geöffnet.

Und welches würdest du am liebsten vergessen?

Schon passiert.

Dein wichtigster Tipp für Neuanfänger an der Filmakademie?

Jeder lernt nur das, wonach er selbst fragt.

Verläuft dein Weg mittlerweile so, wie du ihn dir ausgemalt hast – oder kam alles ganz anders?

Ich hatte mir anfangs gedacht, dass es ideal wäre, jedes Jahr zwei Langfilme zu machen, um sorgfältig vor- und nachbereiten zu können – und schon im zweiten Jahr nach dem Diplom kam es genau so – großartig.

Wen würdest du als dein Vorbild bezeichnen, und warum?

Ich bin begeistert von Dante Spinotti wegen seiner präzise-modernen, innovativen Bildsprache zusammen mit Michael Mann, von Nestor Almendros’ Feinfühligkeit, vom lakonischen Humor und der zurückhaltend-souveränen Art von Roger Deakins, von der musikalischen Visualität von Wong Kar-Wai und Chris Doyle, von Rodrigo Prieto und seiner Neugier und Innovation, von der Sinnlichkeit der Arbeit von Stuart Dryburgh – die Liste könnte ich noch lange fortsetzen...

Wie sieht dein Kontakt mit anderen Alumni aus?

Ich arbeite sehr regelmäßig mit Filmakademieabsolventen zusammen – als Regisseure, Autoren, Produzenten, zweite Kamera usw. – aus meinem Studienjahr sind mir ein halbes Dutzend dauerhaft freundschaftlicher Verbindungen erhalten geblieben. Viele sehe ich glücklicherweise regelmäßig bei einschlägigen Veranstaltungen wieder.

Jetzt in der Realität angekommen – wie würdest du die Filmakademie verbessern?

Abgesehen von einigen bürokratischen Hürden fand ich die Filmakademiezeit schon ziemlich toll – allerdings ist jeder selbst extrem gefordert, und nicht nur Studenten aus schwierigen wirtschaftlichen, elterlichen oder emotionalen Verhältnissen sind ziemlich ungeschützt der enormen physischen und psychischen Belastung ausgesetzt, die für alle im voraus nicht einschätzbar ist – hier wäre die Entwicklung eines Angebots zu möglicher persönlichen Begleitung/Hilfestellung überlegenswert.

Was wäre dein Traumprojekt?

Mit einem passionierten, fähigen Regisseur an der Seite, einem vielversprechenden Script und einer Produktionsfirma mit dem nötigen Augenmaß für die Notwendigkeiten ist ein guter Anfang gesetzt, damit alle nachfolgenden Entscheidungen für Teambildung, Durchführung usw. richtig fallen.

Ich arbeite jedes Mal daran, durch die richtige Auswahl und das Hineinstürzen in die sorgfältige Vorbereitung das laufende Projekt zu meinem Traumprojekt zu machen – das ist in 90% der Fälle auch gelungen.

Und wofür würdest du dich niemals verkaufen?

Für Projekte ohne Sinn, Herz und Verstand würde ich auch umsonst nicht arbeiten.

Zurückgeblickt auf deinen Werdegang, würdest du den Weg weiterempfehlen?

Ja. Die Möglichkeit, in den Jahren vor dem Studium so viel Berufserfahrung zu sammeln, diese dann an der Akademie anwenden zu lernen und als ‚Director of Photography’ Diplom zu machen, der alt und fit genug ist, auch als solcher sich zu verkaufen, war für mich genau richtig – ich hätte kaum jünger sein oder Erfahrungsjahre vermissen wollen.

Was glaubst du, wie hätte dein Weg ohne die Filmakademie ausgesehen?

Vermutlich hätte ich in den USA ein bezahltes Studium ins Auge gefaßt.

Das Interview führte Peter Wedig (Student Fernsehjournalismus/4. Jahr)