Interview mit Martina Eisenreich, Absolventin Filmmusik und Sounddesign 2007
Martina Eisenreich war von 2004 – 2007 an der Filmakademie, im Aufbaustudiengang Filmmusik und Sounddesign. Neben ihren Filmprojekten arbeitet die 34-jährige mittlerweileauch als Dozentin für Filmmusik und Sounddesign an der HFF München. Als Diplomarbeit komponierte sie die Musik zu Ingo Raspers Film „Reine Geschmackssache“. Die Komödie handelt von Wolfi, einem Handelsvertreter, und dessen Sohn. Die beiden könnten sich ferner nicht sein, doch als der Vater seinen Führerschein verliert und der Sohn daraufhin als Chauffeur einspringen muss, kommen sich die beiden ungewollt wieder nahe. Der Film startete im August 2007 in den deutschen Kinos und wurde auch auf Festivals vielfach ausgezeichnet. Die besondere Premiere für Martina Eisenreich dabei: Zum ersten Mal wurde auch ein eigenes Soundtrack-Album mit ihrer Filmmusik veröffentlicht.
Ingo Rasper hatte ich zuvor durch die gemeinsame Arbeit am Filmakademie-Kurzfilm Neuschwanstein Conspiracy kennen gelernt. Die Zusammenarbeit und Kommunikation mit dem Regisseur ist für mich bei einem Projekt das Wichtigste. Es gibt eine Phase zu Beginn meiner Arbeit, in der ich den Regisseur an meiner Seite brauche - er ist die Seele des Films, zu der ich einen ganz unvermittelten Draht haben muss. Den Humor im Drehbuch habe ich geliebt, und auch Ingos gewitzte Art der Vorbereitung hat mich beeindruckt: Ich habe in diesem Projekt viel von ihm gelernt, durch seine kluge Art, die Menschen zu beobachten und zu greifen, die Gabe zur Eskalation, das kompromisslose Spüren für den Groove des Films und das richtige Timing. Das hat sich damals direkt auf meine Arbeit ausgewirkt, mich beflügelt und großen Spaß gemacht. Erfahrungen aus Projekten wie "Reine Geschmacksache" begleiten mich heute noch in der Arbeit an neuen Filmen und inspirieren mich, nicht mein Ding zu machen, sondern in den Stoffen ganz genau hinzusehen und gerade mit der Musik den richtigen Schwung nicht zu verpassen.
Warum hast du dich damals für die Filmakademie entschieden?
Ich hatte zuvor die Fächer klassische Komposition, danach Komposition für Film und Fernsehen studiert, an der Musikhochschule in München. Das war aber eben ein Musikstudium, es war mitsamt aller Nebenfächer ganz anders strukturiert - beispielsweise hatte ich Musikgeschichte anstatt Filmgeschichte, und meine Mitstudenten im Haus waren allesamt Musiker und nicht Filmleute. Ich habe mein Diplom in München dann ein Jahr früher abgeschlossen und wollte an der Filmakademie noch den ganzen Aspekt des Filmemachens genau kennen lernen. Auch der stärkere Bezug zum Sounddesign war für mich interessant, da ich gemerkt habe, wie sehr die Bereiche Musik und Sounddesign ineinander übergreifen.
Standort Ludwigsburg – Vorteil oder Nachteil?
Beides! Der Rückzug in die relativ kleine und durchaus eigenwillige Stadt hatte für mich während des Studiums auch den Reiz einer intimen und verbindenden Atmosphäre mit den Leuten, die ich an der Akademie frisch kennen gelernt habe. Und noch heute kehre ich jedes Jahr mindestens ein mal nach Ludwigsburg zurück, weil Produktionsfirmen und alte Akademie-Freunde dort nach wie vor ihr Lager aufgeschlagen haben.
Was ist die wichtigste Lektion, die du aus Ludwigsburg mitgenommen hast?
Teamarbeit, Teamarbeit, Teamarbeit.
Was war dein prägendstes Projekt an der Filmakademie, und warum?
Die Musik zu Toke Constantin Hebbelns Film Nimmermeer. Als Toke mir zum ersten Mal eine noch rohe Version seiner Geschichte erzählte, hatte ich sofort seine großen Bilder im Kopf, und Klänge und Stimmungen dazu, und wollte diese Musik unbedingt schreiben. Die Arbeit an der genauen dramaturgischen Entwicklung zum Film war dann natürlich nicht so leicht wie gedacht, sondern sehr komplex und modifizierte sich auch noch im Lauf des Projekts. Ich war daher zum ersten Mal sehr viel mit im Schneideraum gesessen, und es gab in der Entwicklung zweimal große Orchesteraufnahmen für die Musik, samt Notenerstellung für das ganze Orchester und die Musikmischung der unzähligen Spuren. Das hat mich (und mein damaliges Studio-Equipment) auch technisch sehr gefordert. Ich saß Tage und Nächte und habe mich immer weiter hineinbegeben, musste mich dabei aber oft von alten Vorstellungen und musikalischen Eitelkeiten zugunsten der Geschichte verabschieden. Ein großer Lernprozess für mich - wir haben die Musik zuerst mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg aufgenommen, und in einem zweiten Gang doch noch einmal eine weitere Aufnahme mit dem Filmorchester Zilina in der Slowakei gemacht, wo ich schließlich auch selbst dirigiert habe. Es geht immer noch mal weiter, wenn man es so will, und ich habe hier gelernt, mich an solchen Punkten ehrlich zu fragen, wo ich mir tatsächlich klare Grenzen setzen muss, und wo ich mir aber vielleicht auch gerade nur selbst im Weg stehe und noch einmal flexibel werden muss. Was braucht die Geschichte, was möchte der Regisseur erzählen, und was ist im Hinblick darauf mein eigener Anspruch? Es hat mir auch ein Bewusstsein dafür gegeben, in wie weit ich z.B. gegebene Produktionsumstände als Ende des Horizonts akzeptieren will oder selbst noch einmal mein Möglichstes versuche. Das ist sicherlich mit jedem Projekt neu zu werten. Eine Erfahrung also, die mich in vielen Dingen weiter gebracht hat, und am Ende gab es für den Film noch den Studentenoscar.
Dein wichtigster Tipp für Neuanfänger an der Filmakademie?
Die Zeit nutzen, sich auszuprobieren. Das erste, zweite, dritte Projekt muss (und wird auch hoffentlich) nicht der größte Wurf des Lebens werden, viel wichtiger ist die Chance, unbeschwert den Bleistift in viele Richtungen zu schwingen…. Teams bilden, die sich gut anfühlen, und - speziell für die Musiker - die große Vielfalt der praktischen Arbeitsmöglichkeiten genießen und nutzen!
Siehst du einen Druck unter den Studenten, Preise für ihre Filme zu gewinnen – und wenn ja, wie denkst du darüber?
Definitiv, ja. Leider und auch glücklicherweise haben Preise einen großen Einfluss, obwohl man selbst nicht immer nachvollziehen und schon gar nicht beeinflussen kann, wann und wie diese Preise zu einem kommen - oder auch nicht. Nach einiger Trockenzeit gab es für mich Ende letzten Jahres plötzlich gleich zwei wichtige Auszeichnungen: den Preis der Deutschen Schallplattenkritik für den NDR-Hörspiel-Dreiteiler "November 1918", und den Rolf-Hans-Müller- Preis für die beste Fernsehfilmmusik 2013 und 14 zu Christina Schiewes Film "Be My Baby" - und ich war selbst überrascht, wie viel das ins Rollen gebracht hat, bezeichnender Weise auch in Bereichen, wo man meine Arbeit vorher schon kannte.
Verläuft dein Weg bisher so, wie du ihn dir ausgemalt hast – oder kam alles ganz anders?
Mittlerweile denke ich, man sollte sich seinen Weg lieber nicht allzu sehr ausmalen - es gibt immer Durststrecken, in denen man dann um so mehr zweifelt und unter Druck vieles in Frage stellt, Zeiten, in denen man große Umwege geht und Fehler macht, Entscheidungen trifft, die man im Nachhinein noch jahrelang bereuen könnte. Es gibt so viele wirklich gute und erfolgreiche Leute, vieles ist daher auch einfach Glückssache und nicht planbar, und es ist auch selten der aktuelle Stand der eigenen fachlichen Kompetenz, der den Grad der Erfolgskurve beeinflusst. Je mehr man versucht, seinen Weg vorzumalen, desto mehr kann einen das alles
moralisch sehr überfordern und blockieren. Vor allem als Kunstschaffender, wenn man aus Überzeugung immer wieder alles gibt und dabei an die eigenen Grenzen geht.
Es kann aber auch sehr erfrischend sein, diese Unberechenbarkeit der Dinge hinzunehmen und zu genießen, genau das anzupacken was der Moment bietet - nicht mehr und nicht weniger, und sich immer wieder auf die eigene Authentizität berufen und dem nachgehen, was sich gut anfühlt, ohne sich an alten Dingen festzufressen. Das musste ich erst lernen. Ich habe gemerkt, dass diese Freiheit, zusammen mit einer gewissen Beharrlichkeit, beständig guter Arbeit und
frischem Herzblut ein Weg ist, der dich langfristig unweigerlich weiter führt, und zwar dorthin, wo du dich selbst wohl fühlst und damit dann auch erfolgreich bist.
Wie sieht dein Kontakt mit anderen Alumni aus?
Bisher entstehen für mich jedes Jahr wieder gemeinsame Filme mit ehemaligen Kommilitonen aus der Filmakademie, inzwischen eben in größeren Projekten, und da ist es wie mit den alten Freundschaften: auch wenn man sich lange nicht sieht, hat die gemeinsame Anfangszeit uns sehr geprägt, und es ist immer wieder schön und so unangestrengt, sich in den bewährten und vertrauten Teams zu bewegen.
Das Interview führte Peter Wedig (Student Fernsehjournalismus/4. Jahr)