Florian Schwarz, Absolvent Szenischer Film
„Im Film habe ich den großen Topf der Bilder gefunden.“
Wer Shakespeare, klassische Musik und Themen wie Inzest in deutsche Krimis packt, droht auf die Nase zu fliegen. Regisseur Florian Schwarz spielt mit all diesen Feuern. An der Filmakademie lernte er neben dem Zauber des Scheiterns seine wichtigsten Komplizen kennen.
Mit einem Knall geht es los, und 46 weitere sollen folgen. Der Bahnhof einer deutschen Kleinstadt wird zum Schauplatz eines Racheakts im großen Stil. Groß ist dabei eigentlich alles, von der klassischen Musik über die Schauplätze (unter anderem eine mondäne Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum) bis zu Verweisen auf Shakespeare und Dürrenmatt.
Florian Schwarz hat bei seinem „Tatort“ IM SCHMERZ GEBOREN mächtig auf die Tube gedrückt – und so manche Sehgewohnheit herausgefordert. „In der Oberstufe habe ich mit der Malerei geliebäugelt“, erzählt er beiläufig, „im Film habe ich dann den großen Topf der Bilder gefunden.“ 2005 hat er sein Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg abgeschlossen, und der Übergang war ein fließender: Florian erzählt, wie ihm sein Diplomfilm KATZE IM SACK, der im Ersten und auf Arte, auf der Berlinale und auf vielen weiteren Festivals lief, den Weg in den Beruf ebnete. Zur Filmakademie wiederum führte ihn ein kleiner Umweg.
Die 1990er Jahre, Lahnstein nahe Koblenz. Hier verbringt Florian seine Jugend. Sein Interesse am Film ist groß, das Angebot in der Kleinstadt ist es nicht: Es gibt kein Programmkino; umso mehr freut er sich, wenn ein italienischer Zombiefilm es auf die Leinwand schafft. Weil ihm das nicht ausreicht, besorgt Florian sich regelmäßig Filme aus der Videothek und fasst bald den Plan, Regie zu studieren. Gleich nach dem Abitur bewirbt er sich an vier deutschen Filmhochschulen – und kassiert eine Absage nach der anderen. Mit einer Super 8-Kamera hatte er zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Gehversuche unternommen, „aber ohne Praktika war es schwierig bis unmöglich, an einer der großen Hochschulen unterzukommen.“
Florian studiert stattdessen Kommunikationsdesign – eine „eineinhalbjährige Episode, die aus der Not geboren war“ und ihn seinem Ziel, an die Filmakademie zu kommen, dennoch näher bringen sollte. Er nutzt die Zeit, um Praxis nachzuholen, tüftelt Konzepte aus, geht für ein Praktikum in der Postproduktion nach München, dreht und schneidet Filme. Einer davon verschafft ihm den Zutritt zur Filmakademie in Ludwigsburg. Florian, der beim Nachsinnen über Filme, die ihn besonders geprägt haben, auf Werner Herzogs AGUIRRE, DER ZORN GOTTES zu sprechen kommt – „wegen der opernhaften Überhöhung auf der einen und der dokumentarischen Elemente auf der anderen Seite“ –, tritt ein Studium im Schwerpunkt Dokumentarfilmregie an. Dass der Wechsel zur Szenischen Regie einige Diskussionen nach sich ziehen würde, hatte er nicht geahnt. Geklappt hat es dann doch: Im Grundstudium erkennen die Dozenten seine Neigung und lassen ihn ziehen. In den fünf Jahren, die folgen, heißt es: Filme machen, Filme analysieren, Ideen aufspüren und auch mal kapitulieren. „Meine erste große Erfahrung des Scheiterns war Gold wert.“ Am Drittjahresfilm beißen sich Florian und seine Kommilitonen die Zähne aus „und mussten was aus dem Boden stampfen.“ Die Idee weicht, das Team bleibt. Seine wichtigsten Weggefährten lernt er an der Filmakademie kennen: Drehbuchautor Michael Proehl ist der Kopf hinter den Geschichten, die er inszeniert, und Bildgestalter Philipp Sichler verleiht jenen Ideen Gestalt. „Zur Vorbereitung blättern wir in Bildbänden, studieren Lichteinfall und Komposition, lernen von der Fotografie.“
Florian spricht im „Wir“, wenn er über seinen Beruf spricht. Er macht sich nicht viel aus vorgefertigten Dramaturgien und weiß, dass, wer neue Wege gehen will, starke Partner braucht. „Wenn mal was nicht nach Plan gelaufen ist, analysieren wir, woran's gelegen hat.“ Äußere Umstände hat man als Filmteam nicht immer im Griff, das weiß Florian aus Erfahrung; als Ausrede lassen er und seine Kollegen das aber nicht gelten. „Meist muss man sich eingestehen, dass man nicht gut genug vorbereitet war oder keinen Plan B parat hatte.“ Den hohen Anspruch an sich selbst auf der einen und eine für den Filmbetrieb ungewöhnliche Bescheidenheit auf der anderen Seite, kann Florian zehn Jahre nach seinem Diplom auf zehn Filme zurückblicken, die – mehrheitlich zur besten Sendezeit – im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurden.
Ein Auszug: IM SCHMERZ GEBOREN ist der Racheakt, den ein Heimgekehrter an einem alten Nebenbuhler zelebriert, KATZE IM SACK (Florians Diplomfilm, der auch im Kino lief) erzählt die Irrfahrten einer Dreiecksbeziehung, in KÄLTER ALS DER TOD verdichten sich Inzest und Trennungsschmerz zu einer Familienkatastrophe, und in Florians nächstem Film DAS WEISSE KANINCHEN (ein Drama, das im Herbst 2016 im Ersten läuft) gerät eine Jugendliche, die in einem Internetchat nach Ablenkung sucht, an einen Pädophilen. Schwere Kost, auf die Florian sich vorbereitet hat. Er sprach mit Psychologen und auch mit Betroffenen. „In unserem Film werden alle Perspektiven beleuchtet.“
An Diskussionspotenzial mangelt es Florians Filmen nicht. Die Erleichterung, ein weiteres Mal nicht auf die Nase gefallen zu sein, ist nach jeder Ausstrahlung groß. „Preise können Balsam für die Seele sein und manchmal sind sie wichtig. Wenn man sich mit einem Projekt weit aus dem Fenster lehnt, ist es schön für alle Beteiligten, etwas zurückzubekommen.“ Überwiegend sehr gute Kritiken und ein Dutzend Auszeichnungen sprechen für sich. Florians Diplomfilm KATZE IM SACK wird mit dem First Steps Award ausgezeichnet, sein erster Tatort WEIL SIE BÖSE SIND fährt prompt den Deutschen Fernsehpreis ein, und IM SCHMERZ GEBOREN räumt auf ganzer Linie ab: Grimme-Preis, Goldene Kamera, Metropolis Regiepreis, drei Auszeichnungen auf dem Fernsehfilmfestival Baden-Baden – um nur eine Auswahl zu nennen.
Was kommt als nächstes? „Ich bin in der Sondierungsphase, arbeite an ein paar Konzepten“, antwortet Florian. Eine Serie zu inszenieren, könne er sich gut vorstellen. Und vielleicht, hängt er an, mache er „irgendwann doch noch 'was Dokumentarisches.“
Autorin: Ana-Marija Bilandzija
Foto Forian Schwarz: © Sonja Fourate / HR