EIN FERNGESPRÄCH NACH MAROKKO ZU...KARIM DEBBAGH

„Ich habe gemerkt, dass ich das durchziehen muss.“

Lieber Karim, wann wusstest du, dass du Filme machen wolltest?

Das war zunächst ein großer Zufall! Während meiner Schulzeit in Marokko hatte ich noch keine Ahnung davon, dass ich mich mal mit dem Filmemachen beschäftigen würde. Ich besuchte eine ganz normale Schule und entdeckte gegen Ende meiner Schulzeit mein Interesse für englische Literatur. Ich fing an, Englisch zu lernen und sprach jeden Europäer, der mir begegnete, auf Englisch an, um meine Sprache zu verbessern.

Eines Tages beobachtete ich am Strand von Tanger, wo ich aufgewachsen bin, einen Deutschen, der mit einer Polaroid-Kamera Fotos machte, und ich sprach ihn an. Das war der Regisseur Frieder Schlaich, der dort Locations für einen Filmdreh sichtete. Sein Regieassistent war Tommi Lechner (heute Zentraler Herstellungsleiter an der Filmakademie). Sie planten damals ihren Film PAUL BOWLES – HALBMOND (1995) über Kurzgeschichten des amerikanischen Schriftstellers Paul Bowles, der in Tanger lebte. Ich unterhielt mich länger mit Frieder zeigte ihm die Gegend. Damals war ich 17 oder 18 Jahre alt und er nahm mich auch mal mit zu Paul Bowles, der witzigerweise direkt in meiner Nachbarschaft wohnte. Paul Bowles kennenzulernen, war für mich ein Schlüsselerlebnis. Er empfing uns als alter, weiser Mann, fast erschien er mir wie ein Heiliger. (lacht) Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl „Hey, da muss ich unbedingt dran bleiben“. Für Frieder und Tommi durfte ich dann erstmals als Locationscout arbeiten, zwei Monate später kamen sie dann zum Dreh wieder nach Tanger und boten mir an, in ihrem Team mitzuarbeiten. Obwohl ich noch zur Schule ging, war ich so involviert in ihre ganze Arbeit und außerdem der einzige Marokkaner im Team, so dass ich sie voll unterstützen durfte, von Location Scouting bis hin zu Budgetkalkulationen. Das war mein erstes Projekt und ich wusste, dass ich da unbedingt weitermachen muss. In diesem Moment habe ich mich in die Welt des Films verliebt.

 

Wie bist du dann zum Studium an die Filmakademie Baden-Württemberg gekommen?

Nach der Schule habe ich zunächst in Marokko amerikanische Literatur studiert, ich hielt aber weiterhin den Kontakt zu Paul Bowles und arbeitete nebenher immer mal wieder in kleineren Filmproduktionen vor Ort mit. Bowles hat dann eines Tages zu mir gesagt „Du hast so gerne im Film mitgearbeitet. Wieso siehst du nicht zu, dass du das richtig weitermachst?“ Und er riet mir, nach europäischen Filmhochschulen zu suchen. Damals kontaktierte ich Frieder und Tommi und fragte sie, wo in Deutschland ich Film studieren könnte, denn mir war klar: Ich wollte unbedingt nach Deutschland. Also bewarb ich mich an der Filmakademie Baden-Württemberg, mit einem Empfehlungsschreiben von Paul Bowles und ein paar kleineren Referenzen, obwohl ich noch kein Wort Deutsch konnte! Die schriftliche Aufnahmeprüfung in Ludwigsburg bestand ich auf Englisch und hatte dann noch ein paar Monate Zeit bis zur mündlichen Prüfung. In dieser Zeit lernte ich im Eiltempo Deutsch, besuchte Intensivkurse und arbeitete bei Frieder Schlaichs Firma „Filmgalerie 451“ mit. Zu meiner großen Freude bestand ich die Aufnahmeprüfung an der Filmakademie.

 

Welche Erinnerungen hast du noch an deine Zeit an der Filmakademie?

Das erste Jahr an der Filmakademie war für mich wirklich hart. Alle Seminare waren auf Deutsch und ich habe anfangs viele mit meinem Walkman aufgenommen und nachts nochmal angehört, um alles zu verstehen. Beim ersten Filmakademie-Pitching bekam ich die zwei Projekte, die am Ende übrigblieben, weil sie noch keinen Produzenten hatten. Das war aber auch eine super Übung für mich. Die ganze Zeit habe ich gemerkt, dass ich genau das Richtige mache und dass ich das durchziehen muss. Mit meinem Studium in Ludwigsburg eröffnete sich mir eine völlig neue Welt. Die Ausbildung, die Kultur, das Land – alles war neu. Und ich habe alles genossen. Ich habe es geliebt zu produzieren, Sponsoren zu suchen, Nächte nicht zu schlafen. Ob Aufnahmeleitung, Line Producing etc. – Ich hatte Angst, aber ich habe einfach alles gemacht. Das hat mir unglaublich geholfen. Die Leute, die ich während meines Studiums kennengelernt habe, waren total nett und hilfsbereit und haben mich immer unterstützt. Anfangs konnte ich nicht mal mit einem Computer arbeiten. (lacht)

 

Kurz nach deinem Diplom 2002 bist du als Filmemacher wieder nach Marokko zurückgegangen, um dort Filme zu produzieren. Was hat dich zu diesem Schritt bewogen?

Noch während meines Studiums in Ludwigsburg habe ich Geld verdient, indem ich bei Filmprojekten, die mit Marokko zu tun hatten, aushalf und durch meine Landeskenntnisse die Teams unterstützte. Schon damals reifte in mir die Idee, nach dem Studium nach Marokko zurückzugehen und dort meine eigene Filmfirma zu gründen. Hier sind meine Heimat und meine Kultur, hier kenne ich mich aus. Viele Filmteams, die in Marokko drehen wollen, benötigen vor Ort Unterstützung.

 

Im Jahr 2003 hast du die Firma KASBAH FILMS gegründet, mit Standort in Tanger. Ist dein Konzept von einer Filmfirma vor Ort aufgegangen?

Ja, aber es war nicht von Beginn an leicht. Um in Marokko die Lizenz für eine Filmfirma zu bekommen, muss man entweder drei Kurzfilme oder einen Langfilm produziert haben. Zwei Jahre lang habe ich mich hoch verschuldet und war quasi pleite, aber ich hatte die Lizenz in Marokko erhalten. Dann kam endlich der erste Auftrag und seit 2005 habe ich sozusagen bis heute durchgearbeitet. In KASBAH FILMS arbeite ich als Herstellungsleiter und Line Producer und habe in der Anfangszeit viele deutsche Filme, die in Marokko gedreht wurden, betreut.

Im Jahr 2006 erhielt ich den ersten Auftrag für einen US-amerikanischen Film und das war plötzlich ganz anders als alles, was ich bis dahin gemacht hatte. Ich war Line Producer für einen Film, der an Budget und Aufgaben mit meinen bisherigen deutschen Filmen nicht zu vergleichen war. Da habe ich gemerkt, dass das genau das ist, was ich will. Die Erfahrungen der vorherigen Filme hatten eine gute Basis gebildet und nun war ich da angekommen, wo ich sein wollte: In einem großen Film mit viel Budget und einem so großen Team, dass man regelrecht „relaxed“ arbeiten konnte. Ich habe sogar einen Nachmittagsschlaf machen können, das wäre bei deutschen Produktionen undenkbar gewesen.

2012 ist dann Michael Dreher als Geschäftspartner in KASBAH FILMS eingestiegen und damit konnten wir einen zusätzlichen Standort in Baden-Württemberg eröffnen.

 

Seid ihr mit KASBAH FILMS nun fest im US-Filmbusiness verankert?

Wir produzieren sowohl deutsche als auch US-amerikanische Filme, das ist eine gute Mischung. 2014 war für uns das große Jahr: Ich erhielt die Anfrage als Producer für den Film A HOLOGRAM FOR THE KING, ein 32-Millionen-Dollar-Film unter der Regie von Tom Tykwer. Für den Dreh in Marokko war ich vor Ort der Line Producer und arbeitete direkt mit Tom Tykwer zusammen, die Hauptrolle spielte Tom Hanks. Bis dahin war dies das größte Projekt, an dem ich je gearbeitet hatte, sozusagen der „Aufbruch nach Hollywood“. Im gleichen Jahr suchte Sony Pictures für die Miniserie THE RED TENT nach einem Producer in Marokko und ich hatte gerade erst mit Tom Tykwer und Tom Hanks gedreht, das war eine super Referenz, also bekam ich den Job. Von 2014 bis 2018 haben wir viele große amerikanische Filme mitproduziert, die alle 10 bis 40 Millionen Dollar Budget hatten. KASBAH FILMS hat bis zu sieben Mitarbeiter, wir können auch parallel an Projekten arbeiten und haben mittlerweile so viele Anfragen aus Deutschland und den USA, dass wir manchmal sogar Projekte ablehnen müssen.

 

In Marokko bildest du seit kurzem auch den Filmnachwuchs aus und engagierst dich für junge Filmschaffende. Was möchtest du diesen angehenden Produzenten vermitteln?

Zwar bin ich kein Akademiker, aber ich bringe viele Erfahrungen aus der Praxis mit. Mehrere Wochen im Jahr unterrichte ich daher die Studierenden der Filmschule in Rabat. Ich bringe Ihnen bei, was alles dazugehört, wenn man einen Film produzieren möchte. Außerdem kann ich ihnen die Unterschiede zwischen einer Filmproduktion in Europa, Marokko und den USA erklären. Da ich selbst schon für diese drei Regionen Filme produziert habe, kann ich mich direkt auf meine eigenen Projekte und die Vorgehensweisen beziehen. Die Studierenden, die ich betreue, machen in Rabat den Master in Filmproduktion und sind ganz begeistert davon, mehr über die Filmbranchen in Europa, USA und Marokko zu lernen. Demnächst plane ich auch, sie als Praktikanten in meine eigenen Produktionen von KASBAH FILMS miteinzubinden.

 

Was ist das für ein Gefühl, dein Wissen an junge Nachwuchstalente weiterzugeben?

Es fühlt sich einfach toll an und ich mache das wirklich gerne, obwohl ich kaum Zeit dazu habe. Ich kann mich noch genau daran erinnern, welche Träume man als Student hat und fühle mich fast dazu verpflichtet, mein Knowhow weiterzugeben. Früher gab es in Marokko nur sehr wenige Ausbildungsmöglichkeiten im Filmbereich, denn die Profis wollten ihr Wissen nicht weitergeben, aus Angst, sie könnten ihren Job verlieren. Das ist der völlig falsche Ansatz! Irgendjemand muss doch weiter Filme machen, wenn die jetzigen Filmemacher nicht mehr da sind. Man muss beim Filmenachwuchs etwas in der Seele wecken, damit sie sich trauen, ihre Träume zu leben.

 

Was ist es, was dich in der Seele bewegt? Warum produzierst du Filme?

Ganz ehrlich? Es ist die „Challenge“. Wenn mir im Leben etwas Großes, Kompliziertes begegnet, bekomme ich Lust, das zu meistern. Das treibt mich an. Ich bin froh, wenn ich viel Stress habe und viele Dinge gleichzeitig machen darf. Immer mit unterschiedlichen Menschen, Kulturen und Herausforderungen zu tun zu haben, macht mich glücklich. Wenn dann die Filme, für die ich alles gegeben habe, das Publikum begeistern, auf der Berlinale oder bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt werden, ist das ein unbeschreiblich schönes Gefühl.

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DAS INTERVIEW FÜHRTE: Meike Katrin Stein