Dominik Wessely, Absolvent Dokumentarfilm

„Der Dokumentarfilm zwingt dich in besonderem Maße, die eigene Perspektive zu überdenken.“

Dominik Wessely hält mir schmunzelnd einen Artikel vor die Skype-Kamera: „Rekord: DIE BLUME schlägt TITANIC. Über 3.000 Besucher wollten am vergangenen Dienstag in der Ludwigsburger Karlskaserne beim Sommernachts-Open-Air-Kino DIE BLUME DER HAUSFRAU sehen (...)“ Dominik Wesselys Kino-Dokumentarfilmdebüt über eine Gruppe von Staubsaugervertretern in Stuttgart wurde 1998 ein Riesenerfolg, auch über die schwäbischen Grenzen hinaus. „Das war wie ein Jackpot. Der richtige Film zur richtigen Zeit.“ Der Erfolg brachte aber auch unerwartete Schwierigkeiten mit sich: „’Wessely ist ein Schwabenfilmer’. Durch DIE BLUME DER HAUSFRAU wurde ich gelabelt als Lokalmatador, was überhaupt nicht meine Absicht war.“ Er ist gegen diese Art von Festlegung, da sie die eigenen Möglichkeiten und die Lust am Ausprobieren einengt.

Dominik Wessely, Ende 40, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und wirkt recht vergnüglich während unseres Skype-Gesprächs. „Ich fände nichts so entsetzlich wie die Vorstellung, mich zu wiederholen. Dann könnte ich auch in der Bank arbeiten. Wir sind neugierige Menschen und wollen etwas über die Welt erfahren, wir wollen neue Grenzen austesten und auch überschreiten. Und wenn das als Motor nicht mehr da ist, dann fängt man an, sich selbst und andere zu langweilen.“

Als Wessely an der Filmakademie 1991 angenommen wurde, hatte er sich bewusst für Dokumentarfilm entschieden. „Ich fand die Vorstellung reizvoll, einfach eine Kamera und eine Nagra [ein Tonaufnahmegerät, Anm. d. Red.] in die Hand zu nehmen und los geht’s. Ich fühlte mich so herrlich unkontrolliert. Es ging für mich mehr um diesen Augenblick der Wahrheit, darum, dass du etwas erlebst. Und darum, dass du in diesem Moment wach und in der Lage bist, mit filmischen Mitteln auf die Wirklichkeit zu reagieren.“ Damals konnte er sich noch nicht vorstellen, dass man diesen künstlerischen Moment auch im Rahmen einer Spielfilmproduktion finden kann.

„Mein Bild vom Dokumentarfilm war sehr unsystematisch und unvollständig, als ich zur Filmakademie kam.“ Unter Dokumentarfilmen stellt er sich damals vor allem politische Filme über das ‚Dritte Reich’ mit dem Anspruch der Vergangenheitsbewältigung vor, so, wie es beispielsweise bei SHOAH oder HÔTEL TERMINUS der Fall war. „Es roch immer nach Anstrengung und nach angestrengter Thematik. Mit viel Ernst, aber subkutan auch mit wenig Freude.“

Durch seinen Mentor und späteren Freund Laurens Straub lernte er das Direct Cinema und die Filme der Maysles Brothers sowie die Werke von Robert Drew kennen. „Da hat es ‚boom’ gemacht, weil ich Filme gesehen habe, die einerseits total dokumentarisch waren, im Sinne von direktem Beobachten. Gleichzeitig funktionierten sie durch ihren geschickten dramaturgischen Aufbau aber auch wie Spielfilme.“ Diese Filme hatten eine dramatische Erzählweise, sie waren spannend. Da habe ich für mich gemerkt, dass Dokumentarfilm auch etwas ganz anderes sein kann als eine Ansammlung von Interviews, das Befragen von Personen der Zeitgeschichte. So etwas wollte ich auch können.“ DIE BLUME DER HAUSFRAU entstand dann nach dem direkten Vorbild des Films SALESMEN der Maysles Brothers, der von einer Gruppe von Bibelverkäufern in den USA erzählt.

Die Begegnung mit Laurens Straub hat Wessely tief geprägt. Straub war ein Rock’n’Roll-Filmemacher und Produzent mit einer faszinierenden Filmografie. Ein Außenseiter. Jemand, der dauernd über Film geredet und nachgedacht hat, an dem man sich reiben, mit dem man sich auseinandersetzen konnte. Für Wessely wurde er zum geistigen Wegbegleiter. „Was ich von ihm gelernt habe, ist, mir über meine Haltung als Filmemacher klar zu werden. Das hat er von uns unnachgiebig verlangt. Was will ich eigentlich erzählen? Worum geht es?“ Zu wissen, was man erzählen will, gleichzeitig aber auch offen zu sein für die Wirklichkeit, für die Angebote, die sie uns macht.“

„Der Dokumentarfilm zwingt dich in besonderem Maße, die eigene Perspektive zu überdenken. Ebbo Demant hat mir einmal gesagt: ‚Sie können sich ihre Protagonisten nicht backen.’ Du kannst also einem Menschen nicht den Vorwurf machen, dass er so ist, wie er ist. Wenn du darüber enttäuscht bist, dann ist das allein dein Problem.“ Stattdessen solle man sich hinterfragen, was man als Filmemacher eigentlich erwartet habe. Es gehe darum, sich der Wirklichkeit auszusetzen und das, was einem widerfährt, im Idealfall als Geschenk annehmen zu können.

Nach der Filmakademie blieben Wessely und Straub stetig in Kontakt. „Laurens hat mich dann gefragt, ob ich mit ihm den Film GEGENSCHUSS – AUFBRUCH DER FILMEMACHER machen will. Er hatte erfahren, dass er Krebs hat, und es war klar, dass er den Film nicht alleine zu Ende bringen wird. Es ist zu großen Teilen auch ein autobiografischer Film von Laurens geworden, der einen ganz wesentlichen Beitrag zum Filmverlag der Autoren geleistet hat. Die Arbeit an diesem Film war ein großes Vergnügen, aber durch das Sterben von Laurens auch eine große Belastung.“ Laurens Straub starb 2007, ein Jahr vor der Kinopremiere.

Dominik Wessely hat mittlerweile mehr als 20 Dokumentarfilme gedreht. Er erinnert sich gerne an die aufregende Zeit in Ludwigsburg zurück. Anfang der Neunziger war er im allerersten Jahrgang der Filmakademie gewesen, der aus gerade mal 35 Studierenden und einer Handvoll Dozenten bestand. Diese Studiensituation habe etwas sehr Intimes und Familiäres gehabt. Damals waren die Unterrichtsräume noch in der alten Eisfink-Fabrik im westlichen Gewerbegebiet der Stadt untergebracht. Wessely lernte dort auch seinen langjährigen Kameramann Knut Schmitz kennen. „Zu dieser Zeit war es extrem schwierig, eine Wohnung für eine WG-Gründung in Ludwigsburg zu finden. Damals wurde man quasi noch im terroristischen Umfeld angesiedelt. Knut hatte das auf seine Weise gelöst: Er schlief in seinem umgebauten alten Mercedes-Transporter, der direkt vor der Akademie stand. Und jeden Morgen konnte man sich bei Knut ins Wohnmobil setzen und mit ihm Kaffee trinken.“ Der Beginn einer langen Zusammenarbeit.

Mit Knut Schmitz an der Kamera hat Wessely nun auch seinen ersten Spielfilm NELLYS ABENTEUER realisiert, der im Herbst 2016 in die Kinos kommen wird. „Für mich sind Spielfilm und Dokumentarfilm verwandte Formen des Geschichtenerzählens: Beide verwenden die gleichen Mittel aus Bild und Ton, beide benötigen eine filmische Syntax.“ Dominik Wessely ist ein Geschichtenerzähler. Man hört ihm gerne zu. „Auch wenn du zwanzig Filme gemacht hast, weißt du immer noch nicht, wie das Filmemachen geht. Aber du bist viele Male durch diesen Prozess gegangen, das ist das Gute an Erfahrung. Du trägst das Wissen in dir, dass irgendwie immer noch ein Film daraus geworden ist.“ Wessely lacht „ Es ist einfach geil, Filme zu machen.“

Alumni-Profil

Autorin: Caroline Reucker

Foto: © Grischa Schmit