Christian Schwochow, Absolvent Szenischer Film
„Film ist mein Instrument.“
Bereits nach den Dreharbeiten zu Christian Schwochows Diplomfilm NOVEMBERKIND, mit dem er auf Festivals um die ganze Welt reiste, erhielt er von Stefanie Groß vom SWR die Zusage, sie würde gern den zweiten Film mit ihm realisieren. Es dauerte dann noch drei Jahre, bis DIE UNSICHTBARE gedreht wurde. „Die Arbeit an dem Buch war unglaublich zermürbend. Nachdem NOVEMBERKIND so aus uns herausgeflossen war, hatten wir nun das Gefühl, wir könnten das gar nicht - ein Drehbuch schreiben. Und dann erzählen wir auch noch etwas über eine Schauspielstudentin an einer Schauspielschule. Wen interessiert das?“ Der Film lief später auf einer Vielzahl an Festivals, gewann Preise und war in der Vorauswahl für den Deutschen Filmpreis LOLA.
Durch NOVEMBERKIND und 200.000 Kinozuschauer galt Christian Schwochow als junger, interessanter Regisseur. Kurze Zeit später produzierte Nico Hofmann einen Zweiteiler fürs Fernsehen und vermutete, dass Schwochow einen Zugang zu dem Stoff haben könnte. Den hatte er in der Tat, und so verfasste er einen flammenden Brief an Jana Brand vom MDR, warum er diesen Film unbedingt machen müsse. Und inszenierte schließlich die Verfilmung von Uwe Tellkamps Roman DER TURM über zwei Dresdner Familien von 1982 bis zum Zusammenbruch der DDR, für die er u.a. mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde.
Aufgrund solcher Begebenheiten ist es schwer vorstellbar, dass sein Weg an die Filmhochschule einer wahren Odyssee glich. Christian Schwochow schrieb Bewerbungen für Praktika und trug diese selbst zu den Produktionsfirmen. Die ihn alle ablehnten. Eine Berliner Produktionsfirma nahm ihn am Ende doch, und so absolvierte er ein Volontariat beim Fernsehen und drehte Beiträge u.a. für die Sendung „Polylux.“ Durch seine Eltern, die beide Journalisten sind, hatte er eine Nähe zum dokumentarischen Erzählen. Doch als er sich schließlich an Filmhochschulen bewarb, wurde er im ersten Jahr einzig von der DFFB eingeladen, deren damaliger Direktor nur meinte, er sehe ihn nicht beim Film. Ein Jahr später eröffnete ihm Rosa von Praunheim in Babelsberg dann, dass er zwar ganz interessant sei, aber beim Film nichts zu suchen hätte. Er solle es doch mal mit Theater probieren. „Damals war ich an einem Punkt, an dem ich dachte, die Möglichkeiten werden jetzt immer weniger.“
Letztlich landete Christian Schwochow in Ludwigsburg. So froh er über diese Wendung ist, so sicher ist er sich zugleich, dass er auch einen anderen Weg gesucht hätte, um als Regisseur arbeiten zu können. „Film hat etwas Rauschhaftes. Ich habe vieles probiert und gemerkt, dass das meine Stimme ist, um mich auszudrücken. Natürlich liebe ich auch das Selbstbestimmte an meiner Arbeit und dass man immer wieder neuen Menschen begegnet.“
Christian mochte die offene Atmosphäre, die er in Ludwigsburg vorfand. Er wollte so viele Leute wie möglich kennenlernen, um sich mit ihnen gemeinsam filmisch auszuprobieren. Dabei traf er auch auf seinen heutigen Kameramann Frank Lamm, mit dem er seit seinem ersten Studienjahr Filme dreht.
Da sich für Christian keine Konstellation, mit einem der Drehbuchautoren an der Filmakademie Stoffe zu entwickeln, richtig anfühlte, begann er, mit seiner Mutter zu schreiben. „Wir haben einen ähnlichen Blick auf die Menschen und die Welt, sind genauso wenig zynisch wie der andere. Wir entwickeln aus den Figuren heraus und schreiben über Themen, die wir wirklich wichtig finden zu erzählen. Außerdem stehen uns keine Eitelkeiten im Weg, da wir uns seit 36 Jahren kennen!“
Christian Schwochow wurde 1978 in Bergen auf Rügen geboren. Diese Verwurzelung im Osten ist in vielen seiner Filme spürbar. Während die Familie seiner Mutter in der ehemaligen DDR sehr gut lebte, unternahm sein Vater im Alter von 18 Jahren einen Fluchtversuch und kam ins Gefängnis. Kurz vor der Wende reiste die Familie schließlich aus und zog nach Hannover. „Irgendwann hat mich die Frage 'Was bin ich eigentlich, Ostler oder Westler?' schon sehr umgetrieben. Obwohl man die gleiche Sprache spricht, gab es in der Kommunikation viele Missverständnisse. Und als Ostler Situationen, in denen man plötzlich in eine Verteidigungshaltung geriet und die eigene Biografie verteidigen wollte.“ Diese Thematik kehre immer wieder zu ihm zurück.
Dennoch verspürt er auch große Lust auf andere Stoffe. Im Frühling 2015 inszenierte er den ersten Teil einer Trilogie über den NSU-Terror, DIE TÄTER – HEUTE IST NICHT ALLE TAGE, als nächstes steht die Fertigstellung eines Kinofilms über das Leben von Paula Modersohn-Becker an. Geprägt von seiner Arbeit als Fernsehjournalist, legt Christian Schwochow sehr viel Wert auf Recherche und eine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung, die sich in seinen Filmen und vor allem in der Komplexität seiner Figuren stets widerspiegelt. „Die Recherchezeit vieler Drehbuchautoren ist oft sehr kurz - leider. Gerade bei den deutsch-deutschen Geschichten merkt man, dass sie eigentlich nur aus vorbestehenden Haltungen entwickelt sind. Ich finde das uninteressant.“
Neben abgründigen Nächten in der studentischen Lieblingskneipe „Kanone“ und den zeitvergessenen Nachtschichten im Schneideraum hat Christian an der Filmakademie auch erfahren, dass man Menschen von seinen Ideen überzeugen muss und nicht gottgegeben ein Regisseur ist. „Zusätzlich muss man herausfinden, mit wem man ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann und mit wem man vor allem gern so viel Lebenszeit verbringen möchte.“
Das ist wohl auch einer der Gründe, weshalb Christian Schwochow, den - seitdem er 2013 sein erstes Stück am Deutschen Theater inszeniert hat - auch dieses Medium sehr reizt, überlegt, nur noch ein Projekt pro Jahr anzunehmen und mehr Zeit bei seiner Frau und seiner Tochter in Berlin zu verbringen.
Und vielleicht wird er in naher Zukunft auch wieder mit einem Film um die Welt reisen, so wie 2008 mit NOVERMBERKIND. Denn als Filmemacher, so Christian Schwochow, sollte man immer wieder den direkten Austausch mit dem Publikum suchen.
Autorin: Katja Ginnow