Chris Bremus, Absolvent Filmmusik (2008)

Eines Besseren belehrt

Chris Bremus hatte früher Angst, er könne die Lust an der Musik verlieren, wenn er sie zu seinem Beruf macht. Trotzdem war er mutig genug, es auszuprobieren.

Ein Skype-Anruf. Chris hat ihn am anderen Ende entgegengenommen. „Warte, ich hab´s gleich“, sagt er. Auf dem Monitor erscheint, etwas wackelig, ein heller Raum mit weiß gestrichenen Ziegelsteinwänden und hohen, gusseisernen Fenstern. „Ich hab hier zwar Technik für Tausende von Euro, aber dieser Rechner hat keine integrierte Kamera“, sagt er, als er die Webcam vor sich aufstellt. Das Studio von Chris liegt in einer ehemaligen Fabrik in Kreuzberg. Seit zwei Jahren produziert er hier und teilt die Räume mit einem befreundeten Toningenieur. „Vorher war es noch ein bisschen mehr Rock 'n' Roll. Da waren wir in einer umgebauten Wohnung am Schlesischen Tor. Jetzt fühlt es sich irgendwie professioneller an.“ Chris komponiert viel für Fernsehen und Werbung. „Das ist sozusagen mein Hauptbrot, dann kommt Kino. Ich mag die Vielfalt. Ich mag es gerne, für kurze Dinge zu arbeiten, aber eben auch für lange.“ Die Musik der ARD-Fernsehfilmreihe DER METZGER geht auf sein Konto. Zu seinen jüngsten Projekten zählen zwei Romanverfilmungen von Charlotte Link im Auftrag der UFA, eine Sat.1-Serie und ein „Tatort“. Chris ist gefragt, es läuft gut: Inzwischen muss er selbst interessante Projekte absagen - aus Zeitmangel. „Dieses Jahr ist verrückt, es ist der Wahnsinn. Ich klopf auch immer auf Holz. Ich bin froh und dankbar. Und ich glaube, man muss ab und zu auch ein bisschen demütig sein. Ab einem gewissen Niveau hat es nicht mehr mit einem selbst zu tun, sondern auch mit Glück“, sagt er.

Chris wächst in einem beschaulichen Vorort von Mainz auf. Als er E-Gitarre lernen will, wird er, auf Anraten der staatlichen Musikschule, erstmal zu klassischem Gitarrenunterricht verdonnert. „Die harte Schule mit Fußbänkchen und Fingernägel-Wachsen-Lassen. Also nicht so wirklich sexy Sachen.“ Nachdem er sich durch Etüden von Bach und Carcassi geschuftet hat, bekommt er schließlich seine heiß ersehnte E-Gitarre: Von da an verbringt er einen Großteil seiner Freizeit zuhause im Keller und übt wie ein Besessener. „Meine Eltern haben sich fast schon ein bisschen Sorgen gemacht.“ Er spielt in verschiedenen Bands, nimmt an Jugend musiziert teil und versucht sich in seinem Kinderzimmer an Home Recording. Kurzum: Er liebt es, Musik zu machen, hat aber Angst, die Lust zu verlieren, wenn er sie zu seinem Beruf macht. Also studiert er - nach Abitur und Zivildienst -  ein paar Semester Politikwissenschaften und schnuppert gleichzeitig Tonstudioluft als Praktikant. „Geschichte und Politik haben mich interessiert, aber es war relativ klar, dass das nicht meins ist. Die Arbeit im Tonstudio hat mir unglaublichen Spaß gemacht: Viele bunte Knöpfe und Mischpulte, so ein bisschen raumschiffmäßig und irgendwie auch sehr nerdy alles. Das mochte ich sehr.“ Also doch Musik. Heimlich nimmt Chris an der Aufnahmeprüfung der Musikhochschule in Mainz teil und wird angenommen. Während des Studiums komponiert er die Musik für den Film eines Freundes, der in Ludwigsburg Animation studiert. Er macht sein Diplom in Jazz- und Populärmusik und bewirbt sich fast zeitgleich für den Studienschwerpunkt Filmmusik. „Das hatte ich schon immer im Hinterkopf, hab mir aber wirklich nicht zugetraut, dass ich das schaffe.“ Chris wird eines Besseren belehrt. Seine Zeit in Ludwigsburg ist schön, lehrreich und arbeitsintensiv: „Einmal hab ich sogar extra die Rechner zu meinen Eltern gekarrt, um an Heiligabend noch etwas zu arbeiten. Trotzdem würde ich sagen, ich habe gelernt, mich nicht verrückt machen zu lassen.“

2008, nach seinem Abschluss an der Filmakademie, geht Chris nach Berlin - weil seine Freunde da sind und er die Stadt immer gemocht hat. „Hier lässt es sich gut leben und arbeiten“, sagt er. Chris fasst beruflich schnell Fuß. Maßgeblich daran beteiligt ist der Filmproduzent Christian Rohde, der ihm die ersten Aufträge verschafft. 2009 vermittelt er Chris die Mitarbeit an DER MANN AUS DER PFALZ, einem Film über Altbundeskanzler Kohl, bei dem Thomas Schadt Regie führt. „Das war ganz absurd: Diplom und ein Jahr später mache ich einen Film mit meinem Direktor.“ Chris sieht sich als Teamplayer. Lernen, wie man miteinander arbeitet, sei auch eine Ludwigsburger Lektion gewesen. Um die richtige Musik für einen Film zu finden, muss Chris mit dem Regisseur an einem Strang ziehen: „Das ist wie Fußball. Man muss Hand in Hand gehen, ist Teil eines Teams, eines Prozesses“, sagt er. „Gleichzeitig sollte man Dinge aber auch verteidigen und sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, sonst wird man unglücklich.“ Wenn alles fertig ist, gibt es dann diesen einen Moment in der Mischung, in dem sich alles zusammenfügt. Chris empfindet ihn oft als magisch. Trotzdem: Wenn er im Kino sitzt und seine Musik hört, ist er manchmal unzufrieden. „Weil man immer denkt, man hätte es noch besser machen können.“ Das finden andere aber offenbar nicht. Wenn ein Fernsehfilm mit seiner Musik ausgestrahlt wird, hat er manchmal schon eine Viertelstunde später die erste Mail. Die einen bedanken sich, die anderen fragen nach dem Soundtrack. „Es ist toll, mit Emotionen zu arbeiten, die dann da auch tatsächlich so ankommen. Das vergisst man oft, dass man das macht.“

Wird Chris gefragt, was er beruflich macht, kommt ihm die Antwort immer etwas geschwollen vor. „Komponist für Filmmusik - in der Theorie klingt das immer so cool, in der Praxis ist es aber auch manchmal mit Schwierigkeiten verbunden. Es gibt Filme, wo man bis zum Ende kämpfen muss. Und es gibt Filme, bei denen man schnell merkt, dass es einfach gut läuft. Bei diesem Beruf kann es immer wieder in alle Richtungen gehen: Das ist das Aufregende daran, dass man es vorher nie weiß.“

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Autorin: Uta Schindler