Brigitte Maria Bertele, Absolventin Dokumentarfilm
Eine Vision teilen
„Über den Regieberuf kann ich mich sehr tief mit elementaren Fragen des Menschseins auseinandersetzen. Das umfasst Bereiche wie Psychologie, Kunst, Geschichte, Neurobiologie, Architektur, Mode, Musik, Fotografie, Spiritualität und viele mehr.“ Brigitte Maria Bertele, Regisseurin und Schauspielerin, die in Berlin lebt und arbeitet, fand über die Schauspielkunst ihren Weg zur Regie. Nach dem Abitur studierte sie zunächst Schauspiel an der Akademie der Darstellenden Kunst in Ulm sowie am GITIS in Moskau und lernte in ihrer Ausbildung zur Schauspielerin vieles, was ihr später als Regisseurin zugutekommen sollte. „Durch mein Schauspielstudium und meine Spielerfahrung am Theater habe ich immer mehr entdeckt, was man während eines Probenprozesses in der produktiven Spiegelung durch ein Gegenüber – sei es ein/e Regisseur/-in oder Spielpartner/-in – alles erreichen kann, wenn man den Mut aufbringt, sich auf eine intensive Arbeitsbeziehung einzulassen. Ich empfinde dies selbst immer wieder durchaus als herausfordernd, da man sich mit eigenen Schwächen und Ängsten konfrontieren und das eigene Selbst immer weiter differenzieren lernen muss, aber im Ergebnis umso beglückender, wenn daraus komplexe, vielschichtige Charaktere und lebendige Figurenbeziehungen erwachsen.“
Nach ihrem Schauspieldiplom arbeitete Brigitte Maria Bertele einige Jahre als Schauspielerin und bewarb sich dann für den Studienschwerpunkt Regie/Dokumentarfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg. „Damals wollte ich meinen Horizont erweitern und filmisch mir fremde Regionen der Erde erforschen“, erzählt sie. „Einen meiner ersten Filme drehte ich in Ghana. Es war eine tolle Erfahrung, zuhörend und zusehend unbekannte Teile der Welt und der Lebenserfahrungen der Menschen dort kennenzulernen.“
Bis zum dritten Studienjahr drehte sie Dokumentarfilme, dann nahm ihr Berufsweg eine Wendung: Eine Kommilitonin, die Drehbuchautorin Johanna Stuttmann, fragte sie als Regisseurin für einen szenischen Film an. „Das Drehbuch, das Johanna mir zum Lesen gab, hat mich auf so besondere Weise durch seine emotionale Kraft berührt, dass ich davon geträumt habe.“ Der SWR mit Redakteurin Stefanie Groß war bereits mit im Boot, und Bertele zögerte auch nicht lange. „Es war ein großes Glück, dass man mir diesen Spielfilmstoff anvertraut hat. Gerade am Anfang ist es wichtig, dass man auf Menschen trifft, die an einen glauben und das Entwicklungspotenzial in einem erkennen.“ Der erwähnte Film, NACHT VOR AUGEN, hatte 2008 auf der Berlinale seine Premiere und wurde dann nicht nur ihr Spielfilmdebüt, sondern auch ihr Diplom. „Das rechne ich der Filmakademie hoch an, dass ich den Film als Diplom einreichen konnte. Es wurde mir erlaubt, meinen ganz individuellen künstlerischen Weg zu gehen. Dadurch, dass die Filmakademie flexibel war und ich suchen und ausprobieren konnte, bin ich mir heute umso klarer darüber, dass sich bei mir ein Kreis geschlossen und ich zu meiner Berufung gefunden habe. Es ist die Schauspielkunst geblieben, nur aus der Perspektive der Mise en Scène betrachtet."
Während ihres Regiestudiums war sie auch häufig in anderen Seminaren zu Gast. „Die Unterrichte anderer Studienfächer zu besuchen, hat mir extrem viel gebracht“, erzählt sie, „dadurch, dass ich Seminare in Kamera, Schnitt, Drehbuch und Filmmusik/Sounddesign sowie die Vorlesung zu Filmgeschichte besucht habe, fällt es mir heute leichter, von diesen Grundlagen ausgehend Regie zu führen.“
Brigitte Maria Bertele genoss ihr Studium an der Filmakademie, auch wenn sie immer das Gefühl hatte, gemeinsam mit ihren Kommilitonen einem großen Druck ausgesetzt zu sein. „Es herrschte Konkurrenz und Profilierungsdruck und für mein Empfinden manchmal wenig Respekt vor der Arbeit anderer. Das Interessante ist, dass je mehr ich inzwischen über den Regieberuf weiß, desto mehr Achtung habe ich heute vor der Schöpfungskraft anderer.“
Direkt nach NACHT VOR AUGEN drehte Bertele wieder dokumentarisch, für das Großprojekt 24H BERLIN (2009) und für die Reihe „Arte Découverte“ (2009). Im Anschluss folgte ein weiterer abendfüllender Spielfilm mit Johanna Stuttmann als Drehbuchautorin, DER BRAND (2011). „Mein Übergang vom Studium ins Berufsleben verlief nahtlos. Da hatte ich aber auch viel Glück, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Menschen getroffen habe“, sagt Bertele. „Inspirierende Wegbegleiter und und eine gemeinsame künstlerische Sprache sind entscheidend, denn Filmemachen bedarf einer geteilten Vision. Wenn alle Mitwirkenden mit Leidenschaft hinter einem Projekt stehen können und sich zwischenmenschliche und kreative Synergien bilden, kann ein Film fliegen.“ Dass alle Beteiligten ihre Vorstellungen in einem Filmprojekt zusammenführen könnten, sei nicht immer selbstverständlich, so Bertele. „Oft braucht es einen langen Atem und präzise Überlegungen, um anderen die persönliche Vision von einem Film nahebringen zu können. Für mich sind Dialogbereitschaft sowie gewachsene und vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen, innerhalb derer produktive Reibung und inhaltliches Ringen möglich ist, essentiell, um gemeinsam über bekannte Räume hinauswachsen zu können.“
Neuen Filmgenres und Herausforderungen stellt sich Brigitte Maria Bertele gerne. „Ich versuche wenn möglich, etwas zu machen, was ich vorher noch nicht gemacht habe“, erzählt sie. Ein besonderes Projekt war die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Literaturadaption GRENZGANG (2013). "Es gab in der Geschichte wenig äußere Handlung, und alles spielte sich ganz still und innerlich ab, mit Konflikten unter der Oberfläche. Das war eine spannende Erfahrung, da ich nicht sicher war, ob eine Erzählweise, die sich auf das fokussiert, was zwischen den Menschen wirksam ist, tragen würde. Diese feine, differenzierte Arbeit hatte einen ganz besonderen Zauber für mich.“
Ein weiteres Projekt, an das sich Bertele gerne erinnert, ist die Reihe der Adaptionen der Kriminalromane von Oliver Bottini, die sie für die ARD drehte. „Da durfte ich ein Ensemble zusammenstellen und einen Kosmos voller wunderbar brüchiger Figuren erschaffen, eine Licht- und Schattenwelt im Stile skandinavischer Krimis oder des Film noir."
Im laufenden Monat hat sich Brigitte Maria Bertele ganz bewusst eine kreative Pause vorgenommen. „In der letzten Zeit habe ich einen Film nach dem anderen gedreht, oft an mehreren Projekten parallel gearbeitet. Ich habe gemerkt, dass ich nicht ununterbrochen Output generieren möchte und Pausen brauche, um neue Fragen an und Ideen für meine Arbeitsweise in mir keimen zu lassen. Dann gehe ich gerne für eine Zeit in die Natur, in Museen, Konzerte oder Ausstellungen, oder lese, ohne dass ich dort etwas Bestimmtes für einen Film recherchieren will.“
Danach freut sich Brigitte Maria Bertele dann wieder auf neue Projekte. „Je mehr Leere man entstehen lässt, desto mehr inneren Raum gibt es, in dem Neues wachsen kann."
Autorin: Meike Katrin Stein