Benedikt Herré, Absolvent Szenenbild

"Grenzen erfahren, Fehler machen und immer man selbst bleiben"

Benedikt Herré wusste früh, dass er Architekt werden wollte. Auf dem Weg dorthin entdeckt er seine wahre Leidenschaft: das Szenenbild. Heute reicht sein Repertoire vom kleinen Image- bis zum epischen Spielfilm – die Abwechslung treibt ihn an.

In einem schmucklosen Bürogebäude in einem Stuttgarter Hinterhof empfängt Benedikt Herré zum Gespräch. Er sei viel unterwegs, erzählt er, verbringe nicht allzu viel Zeit hier. Seine Kreativität entfaltet er an immer wechselnden Orten, an die ihn sein Beruf als Szenenbildner führt. Ein Beruf, den er zunächst gar nicht im Sinn hatte – Architekt zu werden, war Benedikts erklärtes Ziel. Nach dem Schulabschluss verbringt er ein paar Monate im Ausland und arbeitet dann in verschiedenen Bereichen, die ihm später weiterhelfen sollten: als Landschaftsgärtner, Zimmermann und Steinmetz.

1995 schreibt er sich an der Hochschule für Technik Stuttgart für Architektur ein, schließt 2001 mit dem Diplom ab. Der Zeitpunkt könnte besser sein: Die Baubranche kriselt, als Architekt hat man es seinerzeit nicht leicht auf dem Markt der Bewerber. Benedikts Devise: flexibel bleiben. Er streckt die Fühler in alle Richtungen aus. Bewirbt sich nicht nur auf Stellenausschreibungen, sondern "bei allen Stellen, die mir so eingefallen sind." Vom Projektstudium Szenenbild an der Filmakademie erfährt er durch eine Kommilitonin. Auch hierhin schickt er seine Bewerbungsmappe – und wird prompt angenommen. "Ich bin da so reingerutscht", sagt Benedikt, der schnell feststellt, dass das Studium ein Glücksgriff war. "Direkt nach den Basiskursen habe ich zwei Projekte gestemmt, wurde für meine Arbeit gelobt und fand schnell Gefallen daran." Das Einfinden in immer neue Welten liegt ihm, gerne verbringt er Stunden damit, an kleinen, aber feinen Details zu arbeiten, Hintergründe zu Filmthemen zu recherchieren und in der Werkstatt auch mal die Hände dreckig zu machen.

Während des Studiums arbeitet Benedikt an ca. 20 Projekten. Er genießt die Freiheiten an der Filmakademie – für ihn eine willkommene Abwechslung zu elf Semestern Architektur. Vorlesungen musste er jetzt kaum noch besuchen; er durfte "ran, kreativ werden." Dass nicht jedes der vielen Studentenprojekte zum Erfolg wurde, versteht sich von selbst. Gut so, findet Benedikt: "An anderen Filmhochschulen malen und basteln die Szenenbildner jahrelang, um am Ende ein einziges Filmprojekt zu realisieren. An der Filmakademie standen die Projekte von Anfang an im Mittelpunkt. "Es ist auch wichtig, Fehler zu machen", sagt Benedikt. Seine pragmatische Haltung hat sich neben Talent und Fleiß als wichtige Karrieresäule erwiesen.

Neben dem Studium arbeitet Benedikt halbtags für eine Unternehmensberatung in Stuttgart. So finanziert er sich das Studium – und sammelt wertvolle Erfahrungen: "Aus meinem Nebenjob habe ich Organisationsstrukturen mitgenommen, die mir heute sehr weiterhelfen." Die Wand in Benedikts Büro ist gepflastert mit Kalenderblättern. Bunte Stecknadeln weisen den Weg durchs Arbeitsjahr. "Mann muss gut organisiert sein", sagt er, "du musst als Szenenbildner den Dreiklang aus Kreativität, Finanzierung und Organisation beherrschen". Immer wieder, erzählt Benedikt, gerate er in Situationen, die ihm bewusst machen, wie viel die kleinen Nebenstraßen seiner Karriere wert sind. Bei seinen Jobs zwischen Schulabschluss und Studium lernte er Sprache und Arbeitsweise der Handwerker kennen, die er heute anleitet. Das verschafft ihm Sicherheit im Umgang, Anerkennung und sorgt für ein unkomplizierteres gegenseitiges Verständnis. „Wenn dein Team spürt, dass du weißt, wovon du sprichst, weil du eine Aufgabe schon mal selbst übernommen hast, funktioniert die Zusammenarbeit reibungsloser“, sagt Benedikt.

Aus jedem Projekt nimmt er etwas mit – sei es ein Thema, das ihn zum Nach- oder Weiterdenken inspiriert, oder besondere Begegnungen. „Das Zwischen-menschliche ist immer ein großer Faktor. Ich arbeite mit vielen interessanten Leuten zusammen, in ganz unterschiedlichen Konstellationen. Von kleinen Teams bis zu 40,50-Mann-Sets ist alles dabei.“ Freilich stimme die Chemie nicht in jedem Team auf Anhieb. „Wer beim Film arbeitet und behauptet, dass es noch nie gekracht hat, hat einfach noch nicht richtig mitgearbeitet“, sagt er, „manchmal passt es einfach nicht, dann breche ich die Zusammenarbeit auch mal ab.“ Seine Maxime: „Verbiege dich nicht. Wer mit dir zusammenarbeiten will, schätzt dich ja gerade für deine Art.“

Die Schattenseiten seines Berufs kennt Benedikt gut – er hat sie in den nunmehr zehn Jahren selbst, aber auch bei Kollegen erlebt. "Wenn man mal eine 100-Stunden-Woche mitgemacht hat, kommt man schnell an den Punkt, das Ganze zu hinterfragen", erzählt er. "Einige meiner Kollegen haben mit Anfang 40 einen neuen Kurs eingeschlagen. Viele kämen nicht einmal an diesen Punkt: Das Feld der Filmschaffenden lichte sich schon kurz nach der Ausbildung. Von seinen ehemaligen Kommilitonen arbeiten heute nur wenige tatsächlich beim Film. Benedikt zählt die Namen seiner damaligen Mitstudierenden auf – manche sind zwar im Dunstkreis der Filmbranche anzutreffen, ihrer Studienrichtung sind sie aber nicht treu geblieben. Benedikt ist 44 und brennt nach wie vor für seinen Beruf. "Ich bin aber auch in der luxuriösen Situation, mehr Absagen als Zusagen zu verschicken." Die Mitarbeit an zwei „Tatorten“ habe er beispielsweise absagen müssen, weil sein Terminkalender gut gefüllt ist. Das war natürlich nicht immer so. "Die ersten zwei Jahre muss man durchstehen, ganz so, wie es ein Bonmot der Branche besagt", reflektiert er. "Ich habe mich aber schon während des Studiums ganz bewusst breit aufgestellt: Von Fernsehshows über Imagefilme bis zum großen Spielfilm habe ich nichts ausgelassen. Für mich ist gerade die Abwechslung das Spannendste."

Alumni-Profil

Autorin: Ana-Marija Bilandzija