AUF EINEN KAFFEE MIT... HOLGER HAASE
Lieber Holger, du hast nach deinem Abitur erst einmal Gestaltungstechnik studiert. Wie kamst du zum Film und zu deiner Arbeit als Regisseur?
Ehrlich gesagt habe ich meinen ersten kleinen Film mit acht Jahren gedreht. Das war ein Stopptrickfilm mit STAR WARS-Figuren. Das war 1983 und der dritte Teil von STAR WARS lief zu der Zeit gerade im Kino. Wir hatten zuhause eine Super-8-Kamera. Und ich habe meinen Vater drei Monate lang damit genervt, dass ich einen Film machen will, bis er irgendwann gesagt hat: „Ja, ok. Du bekommst die Kamera.“ Und dann haben wir einen kleinen Film gemacht. Völlig ohne Geschichte - aber wir haben einen Film gemacht! Ab dem Zeitpunkt war es mein Jugendtraum, Filme zu machen und Geschichten zu erzählen. Ich fand Filme immer toll und für mich war das immer ein Drama, wenn der ZDF-Wunschfilm, den es damals noch gab, wegen einer Fußballübertragung verschoben wurde. Was meine Brüder und mein Vater aber immer toll fanden. (lacht)
Als ich dann mein Abitur und meinen Zivildienst gemacht habe, hatte ich Film noch immer im Hinterkopf und bei uns in der Kleinstadt gab es ein kleines Theater. Dort habe ich als Bühnentechniker gejobbt und parallel eine Theatergruppe kennengelernt. Mit den Leuten habe ich dann auch zusammen Projekte gemacht. Dabei habe ich gemerkt, dass das eigentlich meine Welt ist: Geschichten erzählen, Illusionen erzeugen und Menschen zu verzaubern. Gestaltungstechnik habe ich dann studiert, weil ich dachte, dass Industriedesign mich eventuell interessieren könnte. Ich glaube, ich habe mich lange Zeit irgendwie immer davor gedrückt, den Schritt zum Film wirklich zu gehen. Obwohl es mein absoluter Jugendtraum war. Als ich dann aber 23 war, habe ich mir gesagt, dass ich, bevor ich mit 50 irgendwann einmal morgens wach werde und mir vorwerfe, dass ich es nicht wenigstens einmal probiert habe, das jetzt einfach mache.
Dann kamst du an die Filmakademie. Wie hast du deine Studienzeit in Erinnerung?
Ich fand das super. Wirklich. Ich habe damals auch in Ludwigsburg gewohnt und bin nicht nach Stuttgart gezogen, weil ich mich in diese „Käseglocke“ der Filmakademie reinbegeben wollte. Ich wollte mich nur mit Film beschäftigen. Ich bin abends in die Schnitträume gegangen, habe Hochzeitsvideos geschnitten, um mir Schnitt beizubringen. Damals gab es den Studienschwerpunkt ja noch gar nicht, wir haben also alle Filme selber geschnitten. Im ersten Jahr habe ich einen 12-minütigen Kurzfilm gemacht und musste alles selber organisieren. Ich war Produzent, Regisseur und Autor in einem. Was ich aber wirklich toll fand und auch wichtig finde für meine Arbeit als Regisseur, war der Einblick in viele Gewerke. Das zeichnet Ludwigsburg wirklich aus, dass auch die Regisseure in den ersten Jahren Kamera machen, ein Drehbuch schreiben und die Drehbuchautoren eben auch mal Regie führen. Ich weiß nicht, inwieweit die Produzenten in diesen Prozess heutzutage involviert sind. Das wäre noch gut, finde ich, wenn sie sich auch in den unterschiedlichen Gewerken ausprobieren können.
Dein Debütfilm DAS LEBEN DER PHILOSOPHEN wurde für den Grimme-Preis nominiert. Hat dir das nach deinem Abschluss an der Filmakademie weitergeholfen?
Ich hatte das Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, um dieses Projekt überhaupt zu bekommen. Das war 2004 auf der Berlinale. Ein Kommilitone von mir hatte bei dem Drehbuchautor Stefan Dähnert eine Art Berufsinformationsgespräch erbeten und ich bin zu dem Treffen mitgekommen. Stefan Dähnert traf dort dann zufällig auf den Produzenten Martin Bach und so bekam ich die Chance ihm zu erzählen, was ich bisher alles gemacht habe. Er meinte, dass ich ihm doch mal meinen Abschlussfilm schicken soll. Das habe ich getan und zwei Monate erst einmal nichts gehört. Eines Tages im April rief er dann auf einmal an und fragte mich, ob ich Lust habe, meinen Debütfilm mit ihm zu machen. Der Autor Patrick Gurris hat mir dann das Buch geschickt. Ich hab’s gelesen und auf Seite 30 gab es auf einmal eine Bollywood-Tanzszene in der Mensa einer Universität. Ich dachte mir: Was für ein crazy Shit ist das. So etwas werde ich nie wieder inszenieren dürfen!
Als der Film aber fertig war, wollte kein Festival ihn haben. Der SWR hat ihn dann ausgestrahlt, ARTE auch und im Jahr 2006 rief mich der Producer Sebastian Hünerfeld an. Er gratulierte mir und ich habe geantwortet, dass ich erst im Juni Geburtstag habe und er ein bisschen zu früh dran ist. (lacht) Dann hat er mir gesagt, dass wir für den Grimme-Preis nominiert sind. Ich habe gegoogelt und – Tatsache – so war’s. Im Sommer danach habe ich dann den Film 29 UND NOCH JUNGFRAU gedreht und dann ging es wirklich nahtlos weiter.
In deiner Filmografie finden sich viele Komödien. War dir von Anfang an klar, dass dir das Genre liegt?
Ich finde, wenn man eine Komödie gut macht, steckt da immer viel Drama dahinter. Du setzt dich viel mit den Figuren und ihrem dramatischen Hintergrund auseinander, weil es nur dann lustig wird. Man kann ja nicht lustig spielen, sondern der Kontrast aus zwei dramatischen Situationen, die aufeinander fallen, erzeugt meistens den Humor. Ich hatte selbst nie vor, Komödienregisseur zu werden oder ich hatte zumindest nicht den Fokus darauf. Es hat sich ergeben und ich hatte scheinbar ein gutes Händchen dafür. Ich bin aber jetzt auch nicht „Comedy“, das ist nicht so mein Genre. Komödie, bei der man was zum Lachen und zum Schmunzeln hat und den Film mit einem Grinsen im Gesicht ansieht – das kann ich gut.
Im letzten Jahr wurde der Film DIE UNGEHORSAME ausgestrahlt, in dem es um häusliche Gewalt geht. Bist du an deine Arbeit als Regisseur bei dem Projekt anders herangegangen als an andere Filme?
Bei dem Film DIE UNGEHORSAME bin ich natürlich schon anders herangegangen, weil man alleine der Thematik schon sehr verpflichtet ist. Das Thema hat eine gesellschaftliche Relevanz, wird aber auch sehr totgeschwiegen. Es ging also viel darum, wie man dem Thema gerecht wird und wie man mit der Gewalt umgeht. Das war für uns ein wichtiger Punkt. Ich habe immer gesagt, dass wir eigentlich nichts zeigen dürfen. Das, was die Gewalt mit dem Opfer macht, muss im Kopf der Zuschauer angetriggert werden. Die Fantasie der Zuschauer ist schlimmer als alles, was wir zeigen können. Vor allem, weil die Menschen heutzutage durch Actionfilme und Kriegsfilme schon so viel gesehen haben. Man stumpft dadurch ja auch ab. Wir haben das im Vorhinein so konzipiert, dass wir viele Drehtage hatten, um uns auf die Inszenierung konzentrieren zu können und auch viele Takes machen zu können. Und wir haben uns allesamt auf die Suche nach Authentizität und Wahrhaftigkeit gemacht. Das ist etwas, was du als Regisseur mit deinem Schauspieler zusammen erkunden musst, wo du dich wirklich reinbegeben musst.
Bei den vielen Filmen, die du gedreht hast: Gibt es einen Film, der dir besonders am Herzen liegt?
Ich habe wirklich jeden meiner Filme gerne gemacht. Mein Kinofilm DA GEHT NOCH WAS war aber vor allem ein Herzensprojekt, weil die Idee von mir war. Es ist ein sehr persönliches Projekt, weil es im Prinzip um die Trennung meiner Eltern ging. Anders als im Film natürlich, das haben wir dramaturgisch aufgearbeitet. Ich hatte nie so ein schlechtes Verhältnis zu meinem Vater wie Florian David Fitz in dem Film. Andere Lieblingsprojekte gibt es aber auch. Einer meiner Lieblingsfilme ist ZWEI WOCHEN ARGENTINIEN, mein Drittjahresfilm an der Filmakademie. Aber auch DAS LEBEN DER PHILOSOPHEN war ein wichtiger Meilenstein, wie auch DIE UNGEHORSAME.
Gibt es etwas, was du den Studenten, die heute an der Filmakademie studieren, mitgeben kannst?
Ich glaube das Wichtigste ist immer, dass man die Geschichten macht, auf die man Lust hat. Gleichzeitig sollte man offen sein für die Betrachtungsweisen anderer, weil es das Gesamtergebnis erleichtert. Und: Habt einen Plan, aber haltet die Ohren offen. Man muss immer am Wegesrand links und rechts gucken, ob da nicht ein Diamant ist, den man mit einpackt. Man darf nicht nur stur auf das Ziel am Ende dieser langen Straße gucken.
DAS INTERVIEW FÜHRTE: Elena Preine