AUF EINEN CHAI LATTE MIT... CARMEN BÜCHNER

Liebe Carmen, du bezeichnest dich selbst als Cross-Functional Artist. Was ist Kunst für dich?

Das ist eine schwierige Frage. Wo fängt Kunst an, wo hört sie auf? Kunst ist eine ganz individuelle Ausdrucksform. Man kann alles für Kunst halten. Aus meiner Sicht eröffnet Kunst viele Möglichkeiten, Menschen emotional zu bereichern, sie aus ihrem Alltag zu reißen. Kunst kann verschiedene Perspektiven vermitteln, Denkanstöße auslösen. Das ist es, was ich mit meiner Kunst erreichen möchte.

Wann wusstest du, dass du in der Kunst angekommen warst?

Von Anfang an habe ich immer das gemacht, was sich richtig angefühlt hat. Als ich vor der Entscheidung stand, was ich beruflich machen möchte, hatte mein großer Bruder bereits im Bereich Medien studiert. Durch ihn bekam ich erste Einblicke in die Branche und die Möglichkeit, nach meinem persönlichen Ausdruck zu suchen. Das hat mich sehr inspiriert.

Zunächst habe ich beim Radio gearbeitet, im Tonschnitt, und Interviews geführt. Als ich danach in Saarbrücken meine Ausbildung zur Mediengestalterin in Bild und Ton machte, war mein damaliger Chef Dozent im Filmbereich. Er hat mich motiviert, in der Kunst eigene Wege zu gehen und Neues auszuprobieren. „Mach irgendetwas Krasses“, waren seine Worte und daraufhin habe ich angefangen, mit Kunst und Film zu experimentieren. Ob Farbspiele in Aquarien oder das Anzünden von herabgefallenen Blättern – ich habe vieles ausprobiert und es dabei gefilmt. Anschließend habe ich es am Computer bearbeitet und da hat sich plötzlich eine riesige Welt an Möglichkeiten vor mir aufgetan. Analog meets digital – die vielen Kombinations- und Veränderungsmöglichkeiten finde ich bis heute spannend. Dadurch entwickle ich meine eigenen Styles und Looks.

Woher kam dein Entschluss, dich an der Filmakademie Baden-Württemberg zu bewerben?

Die Idee dazu kam auch von meinem damaligen Chef. Eines Tages hat er mir die Unterlagen auf meinen Tisch gelegt. „Komm, bewirb dich“, hat er gesagt und ich war damals eher skeptisch. Eigentlich wollte ich Kunst studieren und habe dann für meine Bewerbung an der Filmakademie mit geschlossenen Augen einen Studiengang gewählt – Animation und visuelle Effekte. (lacht) Als ich angenommen wurde, habe ich mich aber total gefreut.

Wie hast du deine Zeit an der Filmakademie erlebt?

Während meines Studiums habe ich enorm viel gelernt, sowohl in Hinblick auf verschiedene Experimentierformen als auch auf deren technische Umsetzung. Wenn man genau weiß, was man will, ist die Filmakademie optimal und man kann sein gesamtes Studium nach diesem Ziel ausrichten. Bei mir war das anfangs etwas holpriger, denn ich war lange auf der Suche und wollte mich nicht auf eine Kategorie festlegen lassen. Auch für meinen Diplomfilm CONTRAST konnte ich mir kein großes Team zulegen, da ich bei vielen Dingen selbst nicht von Anfang an wusste, wie sie funktionieren würden. Ich mag das Ausprobieren, das Experimentieren. Bei jedem Experiment lasse ich mich selbst überraschen, was passiert. Zum Glück haben mir Prof. Haegele und Prof. Hykade vertraut und mich machen lassen. Meine  Vision konnte ich oft nicht so klar kommunizieren oder in Worte fassen, aber von ihnen bekam ich das Vertrauen, meine Vorstellungen umsetzen zu dürfen. Das hat mir sehr geholfen. Insgesamt habe ich an der Filmakademie gelernt, mir selbst zu vertrauen. Jede Woche musste ich in Weeklys meine Visionen vorstellen, das hat mir Selbstvertrauen gegeben. Man hat verloren, wenn man in der Kunst zu biegsam ist.

Hattest du Angst davor, zu biegsam zu sein?

Nein, denn ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen. Es bringt einen nicht weiter, die klassischen Wege zu gehen, die schon so viele vor einem gegangen sind. Gegen Mauern rennt man von ganz alleine – die Frage ist aber, wer danach wieder aufsteht. Ich stand nie an einem Punkt, an dem ich aufgeben wollte.

Wie verlief für dich der Übergang vom Diplom an der Filmakademie ins Berufsleben einer freien Künstlerin?

Direkt nach der Filmakademie hatte ich erst mal Lust auf Veränderung. Ich war auf der Suche – was fange ich jetzt mit mir an? Wo komme ich unter? Möchte ich in eine feste Anstellung oder frei bleiben? Das waren so viele Fragen, die man nach dem Studium zunächst gar nicht beantworten kann. Ich denke, dass das etlichen Absolventen und Absolventinnen so geht – man verharrt zunächst in einer Schwerelosigkeit und wartet darauf, welche neuen Möglichkeiten und Optionen sich auftun. Das war eine große Herausforderung.

In Frankfurt am Main bekam ich dann in einer Agentur einen Job als Visual Artist. Allerdings hatte mein Job dort mehr mit Retuschieren als mit Erschaffen zu tun und ich konnte nicht so frei kreativ sein, wie ich es gerne wollte. Über meinen Freundeskreis bekam ich dann erste freiberufliche Aufträge als Künstlerin und so fing das ganz gut an. Bald brauchte ich den Job in Frankfurt nicht mehr und konnte von meinen Aufträgen als freiberufliche Künstlerin leben. Noch immer mache ich Projekte im Auftrag von Agenturen, Filmproduktionen und Studios, im Bereich Art Direction und Compositing, kann aber gleichzeitig eigene Projekte realisieren. Mit meinen eigenen Projekten nehme ich auch an Kunstausstellungen und Short Film Exhibitions teil.

Woher beziehst du deine Inspiration?

In meinen „Herzens-Projekten“, wie ich sie gerne nenne, breche ich Themen bis auf das Fundament herunter, bis das Thema plötzlich ganz nackt und banal erscheint.

Wie entstehen Konflikte? Warum gewinnt am Ende der Stärkere? In meinem letzten großen Projekt INSIDE – FARBEN DER NACHT habe ich mich mit der menschlichen Psyche und dem Unterbewusstsein beschäftigt. In dem Projekt werfe ich einen Blick ins Innere eines Menschen – in uneinsichtige, kaum erklärbare Bereiche. Zum Beispiel: Wie sieht Schmerz und Nicht-Schmerz aus oder wie tief ist unser Unterbewusstsein?

Womit beschäftigt sich dein neues Projekt?

Mein aktuelles Projekt beschäftigt sich mit dem Thema rund um das Gast-Sein und heißt „Zu Gast an einem Donnerstag“. Es reicht weit vom aktuellen, politischen Geschehen bis hin zu fast banalen Gastmomenten. Diese enorme Bandbreite ist das Besondere.

Was bedeutet es, Gast zu sein? Was bedeutet Gastfreundschaft? Welche Pflichten habe ich als Gast, welche hat der Gastgeber? Wir sind alle nur Gäste auf dieser Welt, wie müssen wir uns also verhalten?

Wichtig ist mir dabei, dass ich mich dem Thema von allen Seiten nähere. Bei dieser 360-Grad-Bearbeitung vertiefe ich das Thema in Form von Installationen, Filmen, Grafiken und vielem Weiteren. Es ist spannend, unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen und mit den verschiedensten Medien an einem Thema zu arbeiten. Die Innovation ist die Kombination – Das ist einer meiner Leitsätze.

Welchen Rat hast du für junge Kunstschaffende?

Erst mal anfangen. (lacht) Man muss für seine Projekte brennen und einfach mal loslegen. Ich habe immer eine Vision zu einer Idee, plane aber nicht jedes Detail genau durch. Oft ist es schwer, direkt von Anfang an die richtigen Bausteine zur Lösung parat zu haben. Der Prozess an sich ist die Kunst. Sucht euch Themen, die grenzenlos sind!

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DAS INTERVIEW FÜHRTE: Meike Katrin Stein