AUF EIN VORMITTAGS-TELEFONAT MIT... SEBASTIAN HILGER, ABSOLVENT REGIE/SZEN. FILM (2016)

Lieber Sebastian, warum bist du Filmemacher geworden?
Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf mit rund 1.000 Einwohnern. Ab meinem zwölften Lebensjahr sah ich mir mit einem Freund, der eine große Filmsammlung besaß, regelmäßig Hollywoodfilme an. Da waren die ganz großen Klassiker wie STAR WARS, STAR TREK, JURASSIC PARK und INDIANA JONES dabei. Ich war total begeistert. Vor allem die Filme, die sich in ihrer Handlung von der Realität abheben, aber dennoch emotional etwas von unserer Welt erzählen, faszinierten mich. Ich wurde durch Filme selbst sehr stark emotional berührt, habe geweint und gelacht. Zu diesem Zeitpunkt war mir aber noch nicht klar, wie viel Arbeit es ist, einen Film zu machen. (lacht)

Wann hast du dich dafür entschieden, Film zu studieren?
Das war ein relativ knapper Zeitpunkt. Während meines Abiturs habe ich mich eigentlich bei der Polizei beworben und eine Zusage bekommen. Zwei Monate später sollte ich anfangen. Für das Abitur habe ich dann aus Spaß einen kleineren Film gedreht und dabei gemerkt: „Krass, wieviel Arbeit das ist! So fühlt sich das also an, wenn man für etwas brennt.“ Ich wollte es unbedingt weiterverfolgen, wusste aber noch nicht so recht, was daraus wird. Also habe ich die Polizei um ein Jahr Aufschub und Bedenkzeit gebeten und sie wurde mir gewährt. Sofort habe ich angefangen, viele kleine Filme zu machen. Vor allem in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, habe ich viel gefilmt – Taufen, Hochzeiten etc. Ich hielt mich für den supertollen Filmemacher und habe mich an Filmhochschulen mit meinem Hochzeitsvideo beworben. Da wurde ich doch tatsächlich abgelehnt. (lacht) Das war meine erste Krise.
Dann habe ich zunächst ein Praktikum bei einem Kamera- und Lichtverleih in Köln gemacht und dort zum ersten Mal gesehen, wieviele Leute es gibt, die Filme machen wollen und dafür brennen, so wie ich. Mit einigen habe ich mich zusammengetan und wir haben gemeinsam Kurzfilme gedreht. Diese habe ich dann bei meiner zweiten Bewerbung eingereicht und – wurde wieder abgelehnt.

Was hast du getan, als du zum zweiten Mal abgelehnt worden warst?
Ich habe mich an der Universität in Köln für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft eingeschrieben. Da das damals noch ein Magisterstudiengang war, hatte ich viel Zeit, fand filmbegeisterte Kommilitonen und wir realisierten viele eigene Projekte, von kleinen Clips bis hin zu Webserien. Dort lernte ich auch die Studentin und Drehbuchautorin Nadine Gottmann kennen und wir produzierten unseren ersten Langfilm AYUDA gemeinsam. Eigentlich hatten wir damals weder Ahnung, wie man das macht, noch Budget für die Produktion, also haben wir fünf Jahre bis zur Fertigstellung gebraucht. Danach verschwand der fertige Film in der Schublade. Das war der dritte große Schock. Durch den ganzen Prozess allerdings habe ich ultraviel gelernt und an ein Filmprojekt ganz andere Fragen gestellt als vorher.
2010 habe ich meinen Magisterabschluss in Köln gemacht und stand noch einmal vor der Frage: Willst du dich bewerben? Nach zwei Ablehnungen war ich nicht mehr sehr gut auf Filmhochschulen zu sprechen, bewarb mich aber erneut an vier Standorten. An dreien wurde ich abgelehnt, von der Filmakademie aus Ludwigsburg kam eine Zusage.

Inwieweit hat dir die Filmakademie auf deinem Weg in die Filmbranche geholfen?
Es war optimal, dass ich erst zu diesem Zeitpunkt eine Zusage bekommen hatte, somit hatte ich bereits ein wissenschaftliches Studium hinter mir und schon rund zehn Kurzfilme gedreht. Damit brachte ich genügend Erfahrung mit, um an der Aka direkt einsteigen zu können. Man konnte während des Studiums in Ludwigsburg an der eigenen Handschrift weiterfeilen. Am besten war die Zusammenarbeit mit meinen Klassenkameraden, den Regie-Kommilitonen. Das hat mir persönlich am meisten gebracht und unser Netzwerk hatte auch über das Studium hinaus noch Bestand.

Dein Diplomfilm WIR SIND DIE FLUT lief sehr erfolgreich auf vielen internationalen und nationalen Festivals und Wettbewerben, auch im Rahmen der Berlinale, und kam am 10. November 2016 in die deutschen Kinos. Hättest du zu Beginn der Produktion gedacht, dass dein Diplomfilm so gut ankommt?
Das hatte ich überhaupt nicht erwartet. Schon vor dem Studium an der Filmakademie habe ich gemeinsam mit Nadine Gottmann an dem Stoff von WIR SIND DIE FLUT gearbeitet. Wir haben die Idee über die Jahre hinweg stetig weiterentwickelt und das Projekt dann als Gemeinschaftsprojekt der Filmakademie Baden-Württemberg mit der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf in Potsdam realisiert. Das war eine spannende Sache. Zum ersten Mal haben diese zwei Schulen auf Augenhöhe zusammengearbeitet: Die Producer kamen von beiden Schulen, ebenso das Budget und die Betreuung. Unser Ziel war es, das Beste beider Welten – Ludwigsburg und Potsdam – zusammenzubringen. Während die Projekte der Filmakademie manchmal als besonders gewaltig in ihrer visuellen Erzählung, aber inhaltlich als leer bezeichnet werden, gelten die Filmprojekte aus Babelsberg manchmal als bedeutungsschwer, aber dröge. Wir wollten mit WIR SIND DIE FLUT etwas kreieren, das sowohl in visueller Hinsicht als auch in seinem inhaltlichen Gehalt Substanz hat und das hat auch sehr gut funktioniert.

Nun ist die Science-Fiction-Prämisse in der Handlung des Films natürlich nicht realistisch, aber die emotionale Ebene spiegelt die realen Gefühle unserer Generation wider, das Gefühl, mit Ideen vor einer Wand zu stehen. Somit schließt sich der Kreis zu meiner ersten Faszination für Film: Reale Emotionen in einer fiktiven Welt. Das ist auch der Weg, den wir weitergehen wollen, denn wir haben für den Film auch sehr positive Rückmeldungen bekommen. Da werden Dinge angesprochen, die beim Zuschauer etwas auslösen, das mehr im Bauch als im Kopf passiert. Aber leider tut sich die Produktionslandschaft noch etwas schwer damit. Ich habe nichts gegen Krimis und Komödien. Das Problem, das ich dabei sehe, ist, dass es in Deutschland zurzeit fast nur Krimis und Komödien gibt.

Wie verlief dein Übergang von der Filmakademie ins Berufsleben?
2014 haben Nadine und ich den Degeto-Stoffentwicklungspreis „Impuls“ gewonnen und großartigerweise durfte ich den Film vor kurzem sogar als Regisseur inszenieren. Das muss für die Degeto Film GmbH ein großer Schattensprung gewesen sein und hat mich sehr gefreut. Im Frühjahr wird der Film in der ARD ausgestrahlt. Das war das erste Projekt, für das ich als Regisseur Geld verdient habe. Nun sind weitere Stoffe in ihrer Entwicklung und Planung, es gibt auch ein paar bestätigte Exposé-Aufträge. Was genau das nächste Jahr bringt, steht noch in den Sternen.

Woher beziehst du deine Inspiration?
Mich inspirieren meistens emotionale Zustände – entweder bei mir selbst oder bei anderen. Stark empfundene Lebensgefühle, die ich selbst spüre, setzen in mir Kreativität frei. Auch extreme Emotionen, die ich bei anderen beobachte, lassen mich mitfühlen. Mit meinen Filmen möchte ich den Zuschauer ja auch emotional berühren. Das Wichtigste dabei ist, Filme nur so zu machen, wie man selbst es will. Man muss sich selbst treu bleiben und darf seinen Film nicht von Kritikern oder der Außenwelt abhängig machen. Was dem eigenen Gefühl entspringt, ist authentisch und diese Ehrlichkeit spürt das Publikum, wenn es den Film sieht.

Zieht es dich auch – wie viele Filmemacher – nach Berlin?
In Berlin ist das Potenzial für junge Filmemacher sicher sehr groß, aber es gibt auch ein sehr großes Angebot. Ich lebe nun in Leipzig und hier gefällt es mir sehr gut. Die Stadt hat alles, was man braucht, außerdem entsteht hier gerade eine junge, aufstrebende Filmclique. Ob Leipzig eine Stadt ist, in der ich dauerhaft leben und arbeiten möchte, wird sich in den nächsten Monaten herausstellen.

Alumni-Profil

DAS INTERVIEW FÜHRTE: Meike Katrin Stein