Anna Maria Praßler, Absolventin Drehbuch
„Ein guter Drehbuchautor mag die Menschen.“
Menschen beobachten und kleine Momente sammeln – dies ist ein fester Bestandteil von Anna Maria Praßlers Arbeitsweise. Der Absolventin des Studienschwerpunkts Drehbuch kommen meist während des Spazierengehens die besten Ideen, einfach nur, weil sie die Augen offen hält. Dann entsteht im besten Fall aus all ihren Eindrücken eine Geschichte. Schon als Kind habe sie sich gerne Geschichten ausgedacht, gesteht sie und schiebt hinterher, dass sie selbst wisse, wie abgedroschen das mittlerweile klingt, aber es sei eben so gewesen. Vielleicht auch, weil die heute 32-Jährige in einem Dorf mitten im bayerischen Schwaben aufgewachsen ist und das Angebot an Kino und Kultur verschwindend gering war. Da dachte sie sich die Geschichten eben selbst aus. Und dennoch ist sie eine Fürsprecherin des Kleinstadtlebens, da es dort selbstverständlicher sei, sich nicht nur mit seinesgleichen auseinanderzusetzen. Auf dem Dorf kennt eben jeder jeden. Deshalb freute sie sich auch auf das Leben im vergleichsweise kleinen Ludwigsburg, nachdem sie in Berlin, Los Angeles und Bologna studiert hatte und schließlich mit einem Magister in Filmwissenschaften abschloss.
„Es ist gut, die Kleinstadt zu kennen“, sagt sie. Daher ging sie irgendwann aus dem Filmakademie-Kosmos hinaus, um in einem VHS-Kurs Menschen außerhalb der Akademie kennenzulernen. Es sei wichtig, nicht den Kontakt zu den Menschen zu verlieren, über die man schließlich schreiben wolle, sagt sie. Ab 2007 lebte Anna Maria Praßler in Ludwigsburg und widmete sich dem zweijährigen Projektstudium im Fach Drehbuch, ausgerüstet mit dem gesamten Theoriebau der Filmwissenschaften. Gerade dieses Wissen ebnete ihr den Weg als Autorin, ist sie sich sicher, da sie dadurch gelernt habe, Filme genau zu betrachten und zu analysieren, was ästhetisch oder visuell möglich sei. Die Filmakademie sei ihr dann wie ein „Schlaraffenland“ vorgekommen, denn nach fünf Jahren der trockenen Theorie gäbe es nun alle Mittel und Wege, die geschriebenen Drehbücher auch in Filme umzusetzen. „Es war wie eine Offenbarung – ich schreibe etwas, und das wird tatsächlich so realisiert“, beschreibt sie ihre Freude, als ihr erstes Drehbuch verfilmt wurde.
FÜR MIRIAM, so der Titel des Kurzfilms, bei dem Lars-Gunnar Lotz Regie führte, wurde vielfach prämiert, u.a. bei der Berlinale – Perspektive Deutsches Kino. Ihr Erstlingswerk öffnete ihr viele Türen, wie sie selbst sagt; noch während ihres Abschlussjahres wurde sie von einer Agentur unter Vertrag genommen. Für sie der endgültige Schritt zur professionellen Autorin, da sie jetzt für ihre Arbeit auch bezahlt wurde. An negative Erlebnisse oder Rückschläge während der Studienzeit könne sie sich, selbst nach einigem Überlegen, nicht erinnern, wie sie lachend zugibt. „Ich war wohl ein Glückskind in Ludwigsburg.“
Und Annas Glückssträhne hielt an: Mit ihrem Diplombuch, das von Lars-Gunnar Lotz zum Kinofilm SCHULD SIND IMMER DIE ANDEREN umgesetzt wurde, war sie u.a. nominiert für den Deutschen Filmpreis 2013 in der Kategorie „Bestes Drehbuch.“ Das Drama erzählt äußerst realitätsnah von einem gewalttätigen Jugendlichen, der nun neben einem seiner ehemaligen Opfer, der Betreuerin einer Jugendfürsorgeanstalt, leben soll, die jedoch nichts von seiner Schuld ahnt. Während der Entwicklungsarbeit hat Anna gemeinsam mit dem Regisseur sogar für einige Tage in einer ähnlichen Einrichtung mit den Jugendlichen gelebt. Nur so habe ihr es gelingen können, ein realistisches Bild dieser Welt zu zeichnen, wie Anna sagt. Denn ihr sei es als Autorin besonders wichtig, mit ihrer Geschichte den Menschen gerecht zu werden. Dies gelänge ihr nur, weil sie für alle ihre Figuren Empathie empfände und auch keine Angst vor Abgründen habe. „Ein guter Drehbuchautor mag die Menschen“, bekräftigt sie und fügt hinzu, dass es bei ihrer Arbeit schließlich nicht nur darum gehe, Geschichten zu erzählen, die sie als Autorin interessieren, sondern darum, die Zuschauer zu berühren und deren Gedanken anzustoßen, vielleicht etwas zu bewegen. „Ich möchte dem Zuschauer Fragen mitgeben und manchmal auch eine Antwort.“ Diese Haltung sei zudem der Grund, weshalb sie sich hauptsächlich für das Genre Drama entschieden habe, da sie hier die Möglichkeit habe, alle Facetten einer Figur zu entfalten. Im Krimi käme dies oftmals zu kurz, weshalb sie selbst kein großer Fan dieses Genres sei. Sie wolle nur an Stoffen schreiben, in denen auch ihr Herz steckt, gibt sie zu. Als Mutter zweier Kleinkinder ist Anna nicht zuletzt aus Zeitgründen wählerischer geworden als zu Anfang ihrer Karriere.
Nach dem Erfolg von SCHULD SIND IMMER DIE ANDEREN bekam sie zahlreiche Aufträge vom Exposé bis zum vollständigen Drehbuch und nahm viele auch euphorisch an. Allerdings war das Ergebnis ernüchternd: Es werde sehr viel entwickelt, aber eben wenig realisiert, seufzt Anna, die nicht verstehen kann, weshalb große Summen in die Entwicklung gesteckt werden, wenn dies ohne Ergebnis bleibe.
Derzeit arbeitet die Autorin an einer Romanadaption, die die letzten Liebes- und Lebensjahre Kafkas aus der Sicht seiner Lebensgefährtin Dora Diamant behandelt. Sie hofft sehr, dass diese Liebesgeschichte realisiert wird, da sie einen anderen Kafka zeige, als er vielen bekannt ist. Deshalb liebe sie auch diesen Beruf so sehr, sagt sie, da man etwas am Schreibtisch entstehen lasse und es dann in die Welt hinausschicke, auf dass es die Menschen erreiche.
Autorin: Janett Lederer