
Tanja Krampfert, Absolventin Animation
Von der Tapete auf die Kinoleinwand
Meterhohe Maskottchen, jede Menge Sportplätze und Hängematten. Der Pixar-Campus im kalifornischen Emeryville wirkt wie ein riesiger Spielplatz. „Wenn mich Freunde besuchen, kommt schon mal scherzhaft die Frage auf, ob hier überhaupt jemand arbeitet – weil es so gemütlich aussieht und das Freizeitangebot für die Mitarbeiter riesig ist“, sagt Tanja Krampfert. „Dabei sitzen wir sehr oft bis spät in die Nacht im Büro.“ Seit 2009 arbeitet Tanja als Technical Director im Character Department der Pixar Animation Studios. Modeling und Rigging sind Tanjas Spezialgebiete: Aus einer Zeichnung modelliert sie dreidimensionale Figuren am Computer und baut deren virtuelles Skelett, damit Animatoren sie bewegen können. Für den Film ALLES STEHT KOPF, der als Favorit für die nächste Oscar-Verleihung gehandelt wird, hat Tanja die Hauptfiguren Riley und Freude zum Leben erweckt. „Ich habe Filme schon immer geliebt. Dass ich selbst einmal im Filmbereich arbeiten würde, hätte ich mir aber lange nicht träumen lassen.“
Tanjas kreatives Potenzial macht sich schon früh bemerkbar: Als Kind bemalt sie alles, was ihr unter den Stift kommt und macht dabei weder vor Wänden noch Möbeln halt. Sie wächst im badischen Muggensturm auf, macht eine Ausbildung zur Grafikdesign-Assistentin und die Fachhochschulreife. Nachdem Tanja drei Jahre lang als Grafikdesignerin gearbeitet hat, beginnt sie in Mannheim Kommunikationsdesign zu studieren. Nebenher arbeitet sie weiter: als freie Grafikdesignerin im Auftrag von Werbeagenturen und als studentische Hilfskraft an der Uni. Im Studium beschäftigt Tanja sich mit klassischer Malerei, Buchdruck, Illustration und Fotografie. „Ich habe dort die ganzen traditionellen Herangehensweisen kennengelernt, was unglaublich wertvoll für mich war. Es hat meinen Sinn, mein Auge für Ästhetik, Farben und Formen geschult, und ich habe gelernt, wie ich bestimmte Herausforderungen als Grafikdesignerin ohne Computer bewältigen kann.“
Mit ihren Kommilitonen fährt Tanja auf die Ars Electronica in Linz – ein Wendepunkt: „Da hat´s mich gepackt. Während die anderen zum Brunchen gegangen sind, bin ich die ganze Zeit in der Mediathek gesessen und hab mir einen animierten Kurzfilm nach dem anderen angeschaut. Darunter LUXOR JR. von Pixar und ein Film namens FISHING, der aussah wie ein Aquarell und mich besonders beeindruckt hat. Irgendetwas hat der Besuch in Linz in mir ausgelöst. Vielleicht war es auch die unglaubliche Stimmung auf dem Festival, aber danach wusste ich, dass ich im Filmbereich arbeiten möchte.“ Später besucht Tanja einige Male die FMX, die wichtigste europäische Konferenz in den Bereichen Animation, Effekte, Games und Transmedia, und stößt auf die Filmakademie. 2004 macht sie ihr Diplom an der Hochschule in Mannheim, bewirbt sich an der Filmakademie und wird sofort für das Projektstudium Animation angenommen. „An der ‚Aka’ habe ich gelernt, wie wichtig Teamwork ist und große Projekte im Team zu stemmen. Gleichzeitig habe ich gelernt, Generalist zu sein, habe modelliert, texturiert, animiert und simuliert – wodurch ich einige Jahre als Freelancer arbeiten konnte. In meinem jetzigen Job habe ich mich voll auf zwei Disziplinen spezialisiert, trotzdem hilft es sehr, über alle anderen Disziplinen Bescheid zu wissen – gerade wenn es um Problemlösungen mit anderen Departments geht.“
2006 diplomiert Tanja mit ihrem eigenen Animationsfilm MOPPEL und arbeitet anschließend bei Pixomondo Images als Animatorin an den Spezialeffekten der Kinofilme DER ROTE BARON und NINJA ASSASSIN. „Das war wirklich eine tolle Erfahrung. Die meisten meiner Kollegen bei Pixomondo kannte ich schon von meiner Zeit an der Filmakademie.“ Im selben Jahr präsentiert Tanja auf der FMX den Trailer ihres Diplomfilms. „Dadurch sind Scouts von Dreamworks, Disney und Pixar auf mich aufmerksam geworden. Daraufhin hatte ich auch diverse Skype-Interviews, habe aber nicht an die Möglichkeit geglaubt, jemals ein Jobangebot von solch einer Firma zu bekommen.“ Aardman Animations, die Macher von WALLACE & GROMIT, bieten Tanja zu diesem Zeitpunkt eine Stelle an: Sie soll in Bristol an dem Stopptrick-Film DIE PIRATEN mitarbeiten. „Ich war überglücklich und habe sofort zugesagt.“ Tanja ist gerade ein halbes Jahr in Bristol, als sie – kurz vor Weihnachten – einen Anruf von Pixar bekommt, ob sie nicht dort arbeiten wolle. „Erst dachte ich, jemand spielt mir einen Streich. Ich war total geschockt, habe gestottert und mitten in der Nacht ehrfurchtsvoll mit Menschen telefoniert, deren Namen ich aus dem Abspann meiner Lieblingsfilme kannte.“ Die Entscheidung, Aardman Animations zu verlassen, fällt ihr schwer: „Alle waren unheimlich verständnisvoll und stolz. Mein Vorgesetzter hat gemeint: Wenn du nicht gehst, dann gehe ich. “ 2009 tritt Tanja ihre Stelle in Emeryville an, arbeitet an Charakteren wie Holly Shiftwell für CARS 2 und der jungen Merida und Mordu für MERIDA.
Über den Kinokult, den man rund um die Pixar-Studios erlebt, ist Tanja immer wieder erstaunt: „Die Menschen in San Francisco sind wahnsinnig stolz auf das, was Pixar produziert. Wenn man hier ins Kino geht, bleiben alle Zuschauer bis zum Ende des Abspanns sitzen und klatschen bei jedem Namen, der über die Leinwand wandert.“ Ihr Ehemann, der an der Filmakademie Filmmusik und Sounddesign studiert hat, ist mit ihr nach Kalifornien gezogen. Er versteht sie, kommt manchmal mit – wenn sie am Wochenende ins Studio geht, um weiter an einer Figur zu arbeiten, weil es sie einfach in den Fingern juckt. Es läuft gut für Tanja, sie ist bei Pixar fest angestellt: „Ich fühle mich sehr wohl hier. Natürlich vermisst man seine Familie und Freunde aus Deutschland. Aber ich liebe das, was ich mache: die Figuren, an denen ich arbeite und die Geschichten, die wir erzählen. Eine Figur zum Leben zu erwecken, ist das Größte für mich! Wenn dann das Publikum auch noch mitgeht, lacht oder weint – unbeschreiblich.“
Autorin: Uta Schindler