Jill Schwarzer, Absolventin Szenenbild

„Das hört sich jetzt ein bisschen kitschig an, aber eigentlich ist das mein Traumjob“

Jill Schwarzer hat ihren Traumjob nicht sofort entdeckt. Er hat sich ihr erst auf den zweiten Blick erschlossen, so wie Filmbilder von den meisten Zuschauern zuerst über die Handlungen und Dialoge der Protagonisten wahrgenommen werden. Doch ein Blick auf den Hintergrund eines Filmes lohnt sich – vor allem beim Szenenbild.

Jill wusste anfänglich nur, dass sie entweder Innenarchitektur oder „irgendwas mit Film“  studieren wollte. Sie ging zu einer Kinopremiere, an die Handlung kann sie sich nicht mehr erinnern. Aber eines blieb hängen. Und so offen, wie Jill immer auf Menschen zugeht, hat sie den Regisseur neugierig ausgefragt. „Ich wollte wissen, woher die schönen Bilder kommen; da bekam ich Adressen von Kameraleuten und dachte: Nee, Kamera will ich nicht studieren.“ Dass noch andere kreative Köpfe gelungene Bilder gestalten, war ihr in jenem Moment nicht bewusst. Erst rückblickend wurde ihr klar, dass sie damals das Szenenbild am meisten beeindruckt hatte. Also studierte sie erst Mal „irgendwas mit Film“, audiovisuelle Medien an der Hochschule für Medien in Stuttgart. Dort hatte der Sparzwang einer Werbeproducerin für Jill einen unerwartet positiven Effekt: Aus Geldmangel wurde sie als Assistentin des Szenenbildners eingesetzt. Sie erstellte Moodboards und merkte, dass sie das gut kann. Was sie aus ihr unerklärlichen Gründen auch gerne erstellt, sind Kalkulationen. „Die Firma hat mich dann immer öfter gefragt, und mir ist klar geworden, dass Szenenbild eigentlich genau das ist, was ich gesucht habe, nämlich eine Mischung aus Organisation, Kalkulation, was Kreativem und meiner ursprünglichen Liebe zur Innenarchitektur.“

Von da an war ihr klar, was sie machen muss. Sie hat sich ihren Traum erfüllt und als Quereinsteigerin ein Szenenbild-Studium an der Filmakademie drangehängt. Seitdem schreitet sie zielstrebig von Projekt zu Projekt. Sie beschreibt die Zeit an der Filmakademie wie ein Leben unter einer beschützenden Käseglocke. Die Filmakademie habe Menschen ausgesucht, die fasziniert sind von ihrem Job und ihn gerne machen. Die Kleinstadt begünstigt das Fokussieren aufs Filmemachen, und die Vielfalt an Studienangeboten und motivierten Studierenden lassen viele Ideen plötzlich als umsetzbar erscheinen. Rückblickend scherzt sie, dass man aber auch ein bisschen aufpassen müsse, sich mit den eigenen perfektionistischen Ansprüchen nicht in fiktiven Welten fernab des alltäglichen Lebens zu verlieren. Den Verbleib in der Realität hat sie gemeistert. Auch ihren Perfektionismus brachte sie während ihrer Studienzeit voll ein und genoss dabei die Zeit mit ihren Kommilitonen. „Jedes einzelne Projekt war für mich total schön. Es waren alles Herzblutprojekte, in allen Departments. Die Studierenden versuchen aus geringsten Mitteln das Beste herauszuholen.“

Die geringen Budgets stellen für das Szenenbild oft eine große Herausforderung dar. Jill ist manchmal fast verzweifelt, weil es zeitlich und finanziell zu anstrengend war. Ein größeres Szenenbild-Team hat sie sich oft gewünscht, um ihre visuellen Ideen zu verwirklichen: „Man hat im Studium kein (Szenenbild-)Team in dem Sinne. Studentenprojekte sind vielmehr eine One-Man-Show. Man muss alles in einem machen, von Baubühne, Außenrequisite, Innenrequisite bis zum Set-Decorator.“ Diese Erfahrungen haben sie aber auch gut auf die Projekte danach vorbereitet. Weil sie selbst schon alles gemacht hat, kann sie heute zeitlich besser abschätzen, wie aufwändig die Arbeitsschritte sind, und vor allem, wie sie das den am Team beteiligten Departments produktiv kommunizieren muss. Das hilft ihr auch bei hoch budgetierten Settings von Werbefilmproduktionen weiter, die sie mit derselben Leidenschaft gestaltet wie einen Low-Budget-Studentenfilm.

Mittlerweile hat Jill vier Langfilmprojekte und viele Werbefilme mit ihren Ideen bereichert und lebt zusammen mit ihrer kleinen Familie in Berlin. Dort entwirft sie Designkonzepte für Werbefilmproduktionen und stattet, wenn zeitlich machbar, die Dreharbeiten aus. Bei der Auswahl neuer Projekte ist sie in der angenehmen Lage, nicht primär auf das Budget achten zu müssen. Erst eine spannende Geschichte mit vielschichtigen Charakteren lässt sie für ein Projekt brennen. Das Drehbuch muss in ihr eine Vision entfachen, die ihren Ansprüchen genügt. Und wenn die Geschichte nicht passt, sagt sie lieber ab. „Ich suche eine Kombination aus herausfordernden Settings und interessanten Charakteren, für die ich passende Hintergründe gestalten kann.“ Einmal von einer Welt angefixt, hält sie überall nach geeigneten Räumen, Gegenständen und Farben Ausschau, die ihre inneren Vorstellungen visualisieren, um den Charakteren eine passende Umgebung zu kreieren. Jill schafft Settings, die die Persönlichkeit der Figuren unterstreichen oder sie kontrastieren. Dafür liest sie gern ausführliche Charakterbeschreibungen zum Drehbuch und stellt sich dann viele Fragen über die Figuren, die sie erst Mal für sich beantworten möchte, bevor sie visuelle Konzepte entwirft.

Einfühlungsvermögen und eine intensive Recherche sind für Jill unerlässlich, denn „du unterstellst jemanden einen guten oder schlechten Geschmack. Du unterstellst einer Figur, dass sie dreckig oder sauber ist, aufräumen kann oder nicht.“ Respekt vor den Figuren ist ihr sehr wichtig, wenn der Ursprung einer Geschichte aus dem Leben realer Personen entwickelt wurde. Bei ihren letzten beiden Langfilmen war das der Fall. Für ihr Diplomprojekt TRANSPAPA wollte Jill von Sarah Judith Mettke wissen, wie ein Vater wohnt, der zu einer Frau geworden ist. Die Regisseurin, die einen persönlichen Bezug zu ihrer Diplomgeschichte hat, beschrieb ihr, wie der Vater wohnt, was für ein Typ er sei, und worauf er wert lege. Jill hörte ihr lange und intensiv zu, denn sie wollte den Figuren durch den Entwurf ihrer Lebenswelt keine unpassenden Interessen oder Eigenschaften nahelegen. Zu Jills Erleichterung betrat Sarah schließlich das Set und war beeindruckt: Jill hatte das Haus ihres Vaters fast identisch nachgebaut. Und das, obwohl Sarah ihr vorher keine Bilder von ihm und seinem Leben gezeigt hatte.

Für ihren ersten Film nach dem Studium, WIR SIND JUNG, WIR SIND STARK, von Burhan Qurbani, sprach Jill mit vielen Zeitzeugen, um die Atmosphäre des Jahres 1992 möglichst lebensnah einzufangen. Im Nachhinein ist sie sehr stolz, dass die Zeitzeugen die geschaffenen Bilder als authentisch empfinden.

2014, gerade mal zwei Jahre nach ihrem Diplomabschluss in Szenenbild an der Filmakademie Baden-Württemberg, wurde Jill Schwarzer für das Beste Szenenbild für WIR SIND JUNG, WIR SIND STARK mit dem „Bild-Kunst Förderpreis“ bei den Hofer Filmtagen ausgezeichnet. Und die Deutsche Akademie für Fernsehen hat sie unlängst mit dem Preis für das beste Szenenbild für BISSIGE HUNDE prämiert. Die beiden Regisseure Burhan Qurbani und Alex Eslam sind ebenfalls Alumni der Filmakademie. Für Jill braucht ein gutes Szenenbild einen starken Regisseur, der eine klare Meinung und Haltung dazu hat, welche Charaktere er erzählen möchte. Darin liegt für sie ein weiteres Plus der Ausbildung an der Filmakademie: „Ich hatte das große Glück, an der Filmakademie mit total tollen Regisseuren zusammenzuarbeiten, die Figuren ernst nehmen und figurenbezogen erzählen.“ Außerdem schätzt Jill zielstrebige Regisseure, die Wert auf Details legen und kleine Fleißarbeiter sind. Die sich auch schon Mal Monate vor dem Projekt mit ihr zusammensetzen. „Wegen des Gefühls: Wir müssen das doch schön machen, wir müssen was tun! Man kann schon behaupten, dass das etwas irre ist. Wir sind halt alle krasse Perfektionisten.“ Sie träumt davon, mal einen Film von David Fincher auszustatten, wegen der speziellen Stimmung, der düsteren Welten, der dreckigen Sets. Sie mag aber auch eher schlichte und unspektakuläre Filme wie LOST IN TRANSLATION von Sofia Coppola. Und warum? Na klar, weil sie das Drehbuch toll findet.

Alumni-Profil

Autorin: Julia Urban