Matthias Wittmann, Absolvent Animation

"Es ist schon spannend, wenn deine Shots von Clint Eastwood kritisiert werden."

Santa Monica, es ist früh am morgen. Matthias hat nicht lange Zeit. Es ist noch vor Arbeitsbeginn, und der Wagen muss weggefahren werden, bevor die Straßenreinigung kommt. Er ist angekommen, in Hollywood. Der Rattenbeauftrage der Filmakademie. Der ursprünglich Regisseur werden wollte, den es dann aber doch zur Animation verschlug. Immer mit dem Ziel, Hollywood-Filme zu machen.

Und was hat es mit dem Rattenbeauftragten auf sich? Es war wohl das prägendste Projekt seiner Studienzeit. Eine sprechende Ratte, basierend auf dem Buch „Die Rättin“ von Günter Grass. Zu einer Zeit, in der das Animieren von Haaren noch in den Kinderschuhen steckte. Die Arbeit war von Erfolg gekrönt und der Hersteller der Animationssoftware (Alias|wavefront) nutzte die Ratte gleich mal als Werbung für sein Produkt.

Von 1994 bis 1999 studierte Matthias an der Filmakademie, spezialisiert auf Animation. Für die Bewerbung mussten noch per Stopptrick animierte Knetfiguren in Italo-Western-Manier herhalten, da in den frühen 90ern vernünftige 3D-Animations-Software noch unüblich war auf heimischen PCs. Im ersten Jahr ging es dann mit einer Knetanimation gleich weiter – „Das Schöne bei kleinen Animationsfilmen ist, man ist sein eigener Regisseur, Schauspieler und Designer.“ Erst danach kam für Matthias der Wechsel zur Computeranimation.

Im Sommer 2011 wurde Matthias vom Gründer und langjährigen Leiter des Animationsinstituts der Filmakademie, Prof. Thomas Haegele, angefragt beim Aufbau einer VFX-Abteilung der neu gegründeten Firma Elektofilm in Berlin mitzuwirken. 2004, zweieinhalb Jahre und einen Zombie-Film später, verließ er Elektrofilm für die erste Chance, in Hollywood Fuß zu fassen. Digital Domain suchte Animatoren für I, ROBOT.

Nach ein paar Projekten stand der Sprung vom Animator zum Animation Lead an, für Clint Eastwoods FLAGS OF OUR FATHERS und LETTERS FROM IWO JIMA über den Zweiten Weltkrieg. „Es ist schon spannend, wenn deine Shots von Clint Eastwood kritisiert werden.“

Von Schiffen im Zweiten Weltkrieg ging es weiter zu den Piratenschiffen des dritten Filmes der FLUCH DER KARIBIK-Reihe. Für Matthias ging es um die Szene, als Jack Sparrow mit seinem Schiff über den Horizont fährt. Die Dreharbeiten dazu fanden in einem ehemaligen Space Shuttle-Hangar statt. Drei komplette Schiffe waren dort auf hydraulischen Gerüsten aufgebockt. „Das war wirklich so, wie man sich Hollywood-Produktionen immer vorstellt: Überall rennen Leute in Kostümen rum, einer hat 'nen Affen auf der Schulter, Kanonen liegen verstreut, hier und da explodiert ein pyrotechnischer Effekt im Hintergrund, und über einem der drei Schiffe regnet´s gerade."

Ein großer Schritt in seiner Karriere war vor allem die Arbeit an David Finchers Film DER SELTSAME FALL DES BENJAMIN BUTTON. Möglich war dieser Schritt vor allem durch Vorarbeit an der Filmakademie Jahre zuvor. Als Freelancer war er dabei am Virtual Human-Projekt der Filmakademie beteiligt. Bei dieser Arbeit lernte er bereits vieles von dem, was er für BENJAMIN BUTTON brauchte. Für menschliche Gesichtsanimation ist viel Handarbeit nötig. Egal, wie gut Motion Capture ist, man benötigt immer gute Animatoren, um eine Vorlage sauber umzusetzen. "Manchmal, wenn wir Brad Pitt 1:1 animiert hatten, fühlte es sich nicht wie sein Spiel an. Die Intention seiner Szene war eine andere. In solchen Fällen mussten wir die gefilmte Referenz dann anders lesen, sozusagen übersetzen. Menschliche Gesichtsanimation ist enorm schwierig, da jeder Mensch automatisch Experte für Gesichter ist. Du siehst es dir an und weißt sofort, wenn was falsch ist. Du weißt nicht unbedingt, was es ist, nur dass es falsch ist."

Im Falle BENJAMIN BUTTON wurde das Team mit einem Oscar für die besten visuellen Effekte belohnt. Nur um einen Film später mit TRON LEGACY festzustellen, dass die mittlerweile sogar verbesserte Technik weniger erfolgreich funktionierte. Ein Darsteller mit junger, glatter Haut und weitgehend flache Beleuchtung – feinste Bewegungen der Haut, wenn auch animiert, gingen dabei meist verloren.

Von der virtuellen Welt in einem Computer hätte es dann eigentlich weitergehen sollen mit epischen Schlachten zwischen Himmel und Hölle. Ein ganzes Jahr lief bereits die Vorproduktion an PARADISE LOST. Hunderte von Gesichtsposen aller zwölf Erzengel, einer von ihnen Bradley Cooper, waren schon von Matthias gescannt. Bis das Studio die Produktion stoppte, da der Film viel teurer werden würde als ursprünglich angenommen.

2012 sahen Millionen verblüffter Leute auf YouTube das in den 1990ern verstorbene Rapper-Idol Tupac Shakur beim Coachella Musikfestival im Duett mit Snoop Dogg. Wieder war ein Head Replacement gefragt. Digital-Tupac wurde dann mittels Pepper Ghost-Technik auf die Bühne projiziert. Für Matthias zur Abwechslung mal ein richtig kurzes Projekt.

Über das Einscannen von Tom Cruise für OBLIVION ging es weiter zu MALEFICENT. Neben der Supervision für die Gesichtsanimationen bestand Matthias' Aufgabe auch darin, Angelina Jolies Gesicht zu scannen, in voller Maleficent-Maske. Allerdings mit abgesägten Hörnern, ganz hätte sie sonst nicht in den Scanner gepasst.

2014 korrigierte Matthias seinen professionellen Kurs ein wenig in Richtung Echtzeitgrafik und nahm ein Angebot der Firma Daqri an, um interaktive digitale Menschen für Augmented Reality zu entwickeln.

Im Zuge des steigenden Interesses von Visual Effects-Firmen hin zu Virtual Reality entschloss sich Matthias 2015 zu einem weiteren Wechsel. IM 360 nennt sich sein aktueller Arbeitgeber, eine Fusion aus Digital Domain und Immersive Media, den Erfindern der ersten Google Streetview Kamera. „Mein Ziel ist, möglichst lebensnahe Menschen, fotorealistisch und interaktiv, für die virtuelle Welt zu erschaffen.“ Solche Projekte werden nicht als Filme oder Spiele gehandelt, sondern als „Experience.“ In Hollywood einer der großen, kommenden Trends.

Was genau das für eine Experience ist, an der er gerade arbeitet, das darf er noch nicht sagen. Im Frühsommer 2016 gibt es jedenfalls was zu sehen. Bis dahin darf man noch gespannt sein, was der ehemalige Filmakademie-Student in Santa Monica alles entwickelt.

Alumni-Profil

Autor: Peter Wedig